Universität Stuttgart
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Das „Himmlische Gastmahl“ - Aufsatz zum Fragment cgm 5249/42f

Matthias Kirchhoff

Ein Stück vom „Himmlischen Gastmahl“

Zur Identifikation des Fragments cgm 5249/42f

Der 1959 verstorbene Altgermanist Heinrich Niewöhner rechnete für das Corpus seines Editionsprojekts „Neues Gesamtabenteuer“ mit 112 Versnovellen (es erschien lediglich der erste von drei geplanten Bänden [Berlin 1937; Dublin/Zürich 19672] mit insgesamt 37 Texten) sowie einer 113. Nummer. In dieser wollte Niewöhner drei „inhaltlich unbestimmbare Bruchstücke“ versammeln.1 Eines dieser angeblich aus einem kleinepischen Text stammenden Fragmente ist das lediglich 2,7 x 9,5 cm messende, beidseitig beschriebene Pergamentstück cgm 5249/42f der Bayerischen Staatsbibliothek in München, das um 1300 im mitteldeutschen Sprachraum entstand.2 Niewöhner hatte vom Text dieses Bruchstücks womöglich durch die Edition Friedrich Keinz’ und Karl Bartschs von 1886 Kenntnis, in der vermutet wurde: „Das Fragment gehört wohl einer erzählenden Dichtung an, wiewohl die ersten Verse mehr den Stil eines Lehrgedichts an sich tragen“.3 Heinrich Niewöhner könnte in seinem Anfangsverdacht, es mit einem Bruchstück einer profanen Erzählung zu tun zu haben, zusätzlich durch eine nach 1888,4 der Schrift zufolge spätestens zu Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene handschriftliche Beilage zu den Fragmenten cgm 5249/ 42a-f bestärkt worden sein, welche die Bruchstücke als „Einzelstrophen weltlichen Inhalts“ aufführt.

Der Textbestand des im Zeilenabstand von 0,5 cm beschriebenen Längsstreifens f lautet der Keinz-Bartschschen Edition zufolge:

recto) gahent (?)verso) iv die warheit
Bi der welte ist in allen wol.mir niht. Daz ist mir leit.
Si sint der welte spise folSwaz iv ze schanden daran
Dez himelriches smach klechet   gesiht. En triwen des en mag
in niht. Wan ir gemvote dieich niht. Selbe tet selbe hab.

Keinz/Bartsch äußern ebd. die Vermutung: „Das zweite Fragment [also die verso-Seite] wird [oben] so zu ergänzen sein des sage ich iu die warheit:/ volgent ir mir niht, daz ist mir leit,/ und die nächste Zeile ist zu bessern: swaz iu ze schaden dar an geschiht.“

Niewöhner erkannte offenbar selbst, dass seine Vermutung, es mit einem Märenfragment zu tun zu haben, irrig war. Womöglich gelang ihm die Identifikation mit einem anderen Text anhand der markanten Sentenz Selbe tet selbe hab am Ende der verso-Seite auf, die TPMA 10, 391, 4.4.1.1 mit dieser Belegstelle als „Selbst tatest du (es), (jetzt) habe (es) selbst“ übersetzt und auf die schon Keinz/Bartsch in ihrer oben erwähnten Edition auf S. 88 mit mehreren Belegstellen hinwiesen. Bei sämtlichen anderen dort verzeichneten Nachweisen des hier – paraphrasiert – vorliegenden „Nun löffele aus, was Du Dir eingebrockt hast“ ist die Aussage dabei ins genaue Gegenteil gewendet: „Wenn man etwas selbst getan hat, hat (bzw. habe) man auch den Nutzen davon“. Vielleicht hat Niewöhner also über diese signifikante Sonderverwendung des Sprichworts die Textstelle nachweisen können.5 Jedenfalls notierte er in einer schlanken Notiz, die sich heute in seinem vom Germanischen Seminar der Universität Hamburg verwahrten Nachlass findet,6 dass es sich bei cgm 5249/42f um zwei Abschnitte (V. 34-38, 45-49) der geistlichen Rede vom „Himmlischen Gastmahl“ handelt – des längsten von vier paargereimten Texten, die in Hs. 68 der Landesbibliothek Wiesbaden dem allegorischen Gedicht von der Passion Christi: „Die Lilie“ anhängen.7 Das „Himmlische Gastmahl“, das dort 240 Verse umfasst, ermahnt (ausgehend von Lk. 22, 28-30) die Zuhörer in stark homiletischem Duktus zu einem gottgefälligen Erdenleben, um sich den bereits in den ersten Versen des Textes geschilderten reich gedeckten Tisch Gottes im Himmel zu erwerben.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass Niewöhners Befund richtig ist. Ein Blick auf die entsprechenden Verse der kleinformatigen (10 x 8 cm) Wiesbadener Handschrift (Bl. 120rv), die im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts in Mittelfranken (vielleicht im Kölner Raum) entstand,8 mag als Beweis dafür genügen, es mit demselben zugrundeliegenden Text vom „Himmlischen Gastmahl“ zu tun zu haben:

34 Inde zů sime dische nit in geint45 Ich sagen in die warheit
Mit der werelde is in alze waleGe louent si mir nit dat is mir leit
Si sint irre spisen volSo wat in da schain da geschiet
Umbe dat himelriche in9 si nitInt druen des in mach ich nit
Wande si der werelde minne na ir zut   Selue dede selve haue
ich keren mine rede her aue10

Keinz’ und Bartschs oben angeführte Ergänzungs- und Besserungsvorschläge für das Versostück treffen zwar, was den Sinngehalt von V. 45 anlangt, zu. Die Emendation schain da zu schaden (und nicht zu schanden; V. 47) und die Annahme volgent ir (V. 46) entsprechen dagegen zumindest nicht dem Bestand des Wiesbadener Vergleichstexts.

Mit der privaten Identifizierung des nun nicht mehr „inhaltlich unbestimmbaren Bruchstücks“ ließ es Heinrich Niewöhner bewenden, so dass cgm 5249/42f noch vor kurzem von Karin Schneider11 und auf den Internetseiten des „Marburger Repertoriums der deutschsprachigen Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts“12 als nicht identifiziert bezeichnet wurde, was sich erst auf die Mitteilung der Stuttgarter Gastmahl-Herausgeber änderte.

Über diese nun ausführlicher dargestellte Meldung des Niewöhnerschen Fundes hinaus setzt sich dieser Beitrag das Ziel, das Münchner Bruchstück so weit zu erfassen und einzuordnen, dass es für eine zukünftige literaturwissenschaftliche und textphilologische Beschäftigung mit dem Gedicht vom „Himmlischen Gastmahl“ lohnend mit betrachtet werden kann. Hoffentlich wird durch die hier angestrebte Grundlagenarbeit, die im Kontext der vorliegenden Neuedition zu betrachten ist, die Erörterung des bisher nicht eben oft in den Blick genommenen Gedichts befördert. Vor allem drei Aspekte sollen im Folgenden behandelt werden: Die Einordnung des Bruchstücks in die sonstige Überlieferung des „Himmlischen Gastmahls“, die Erweiterung des von Keinz/Bartsch edierten Textbestandes um die in cgm 5249/42f (mehr oder minder gut nachvollziehbaren) oben und unten abgeschnittenen Verse und der Abgleich des so ergänzten Münchner Textes mit den entsprechenden Passus der anderen Überlieferungsträger. Späteren Forschungen vorbehalten bleiben müssen weitere für eine umfassende Betrachtung des Textes gebotene Schritte wie die Klärung des religiösen Standpunkts und der Bedeutung bzw. Funktion des immerhin mindestens fünfmal überlieferten Textes, die präzise Einordnung des Werks in seinen Gattungskontext, die Ermittlung sämtlicher im „Himmlischen Gastmahl“ enthaltener intertextueller Bezugnahmen und – nicht zuletzt – die vom Überlieferungskontext der Wiesbadener Handschrift losgelöste Neuedition der Rede unter Berücksichtigung aller bekannten vollständigen oder bloß bruchstückhaft auf uns gekommenen Textzeugen.

1. Einordnung von cgm 5249/42f in die Überlieferungssituation

Mit der Identifizierung von cgm 5249/42f liegt der insgesamt fünfte Textzeuge des „Himmlischen Gastmahls“ vor, wobei das Münchner Bruchstück nach der Wiesbadener Handschrift den zweitältesten Beleg bietet. Weiterhin zu nennen sind zum einen die in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datierte verschollene Handschrift 905 der ehemaligen Königsberger Stadt- und Universitätsbibliothek,13 die auf Bl. 22v-27v14 einen in seinem Inhalt nicht mehr genau zu ermittelnden Auszug des „Himmlischen Gastmahls“ enthielt. Dass das Gedicht dort, wie von Hans Neumann behauptet, 146 Verse umfasst habe, ist unzutreffend, rechnet Neumann doch fälschlicherweise mit einem Textbestand, der nur von Bl. 22v-25v reichte. Dies wurde bereits von Hartmut Beckers in 2VL 9, 940 korrigiert; die Verszahl in der Königsberger Handschrift umfasst Beckers zufolge 266 Verse, ohne dass er diese Behauptung näher erläutert. Der vollständige Text nach Handschrift 905 kann aber auch ihm nicht vorgelegen haben. Da eine Abbildung von Bl. 25v, die sich bei Ralf G. Päsler (2000), S. 273 findet, 28 Verse plus 2 Verse Überschrift zeigt, kann man einen Bestand von gut 300 Versen hochrechnen, wozu auch passt, dass – wie unten ausgeführt – der in dieser Handschrift greifbare Text des „Himmlischen Gastmahls“ gegenüber dem Wiesbadener Pendant Interpolationen aufweist. Die 17, 5 x 13, 5 cm messende Handschrift 905 war in mittel- und niederdeutscher Sprache abgefasst und gelangte im oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nach Torún (Thorn), wo sie als RPS 7/II registriert wurde. Nach kurzer Zeit ging sie leider verloren, ohne dass sich vollständige Aufnahmen oder Transkripte des Textes erhalten hätten.15 Wie erwähnt zeigt Päsler (2000), S. 273 jedoch eine Abbildung von Bl. 25v, die Ludwig Dennecke in den 1930er Jahren anfertigen ließ. Weitere Abbildungen des „Himmlischen Gastmahls“ aus der Königsberg-Torúner Handschrift sind auch Päsler nicht bekannt16 und wurden vermutlich nie angefertigt. Fritz Rohde (1911), S. 7f. gibt immerhin einige Verse des „Himmlischen Gastmahls“ aus Handschrift 905 wieder.

Zum anderen ist die 1449 entstandene Papierhandschrift im Quartformat (21 x 14,5 cm) cod. Helmst. 894 der Wolfenbütteler Herzoglichen Bibliothek zu nennen, in der sich auf Bl. 56r-60v eine ostfälische Übertragung der ersten 232 Verse des „Himmlischen Gastmahls“ sowie 63 Zusatzverse finden. Die in cgm 5249/42f überlieferten Abschnitte lauten dort (Bl. 56v):

34 Vnd to sinem dische nicht en gan45 Ek segge en de warheit
Mit der werlde is ene so wolGhelöuen se mik nicht dat is mek leit
Se sin ok erer spise vulWat ene to schande denne gheschicht
Dat hymmelrike smecket ene nichtEntrüwen des enachtek nicht
Wente se de werlt na sek tichtSüluen dede he is ok süluen haue
Nv do ek mek der rede aue

Dieser Wolfenbüttler Text ist seit der Edition Georg Baeseckes (Nd. Jb. 33 [1907], S. 129-135) auch unter dem Titel “Der Tisch im Himmelreich” geläufig und wird von Hartmut Beckers im gleichnamigen Verfasserlexikonartikel (2VL 9, 940f.) – ebenso wie die Königsberg-Torúner Handschrift – als eigenständige Fassung bezeichnet. Dies ist jedoch aufgrund des unten angesprochenen weitgehend deckungsgleichen Textbestands in Wiesbaden und Wolfenbüttel, v.a. aber des gleichfalls nachfolgend darzustellenden Fundus an in der Überlieferung recht frei kombinierten geistlichen Reden ebenso irreführend wie die Existenz zweier Titel für (im Kern) ein Gedicht.17

Zudem hat Anne Kirchhoff im September 2011 einen Hinweis auf einen weiteren, verschollenen Überlieferungsträger gefunden, in dem sich die Verse 1-15 und 26-29 als Streuüberlieferung finden: Es handelt sich um die im 15. Jahrhundert wohl in Rheinfranken entstandene, 297 x 211 mm messende Papierhandschrift Hofbibl. Meinungen, Hs. 94 (ehemals Hs. 44), die im Zweiten Weltkrieg verschollen ging. Auf S. 146f. der Freidank-Ausgabe Wilhelm Grimms (Göttingen 1860) finden sich die Verse abgedruckt, es lässt sich aber nicht einmal mehr ermitteln, auf welchem Blatt der Handschrift sie ursprünglich standen.

Bemerkenswert ist zunächst die vergleichsweise große Zahl von Überlieferungsträgern: Bisher ist das „Himmlische Gastmahl“ wesentlich als Element bzw. Anhang der längeren geistlichen Dichtung „Die Lilie“ in den Blick genommen worden, die jedoch nur unikal überliefert ist. Auch die drei anderen in der Wiesbadener „Lilien“-Handschrift befindlichen Gedichte sind seltener überliefert als das „Himmlische Gastmahl“: Die gemäß der Wiesbadener Handschrift 56 Verse umfassenden „Drei Blumen des Paradieses“ waren in der erwähnten Königsberg-Torúner Handschrift in starker Paraphrase auf Bl. 20v-22v zu finden, die ersten 12 Verse wurden zudem in den Wiener Codex 3009 aufgenommen; dort finden sich – unabgesetzt anschließend an das populäre, sechzehnmal überlieferte religiöse Lehrgedicht „Der Seele Kranz“18 – auch Verse, die sich inhaltlich mit dem in der Wiesbadener Handschrift ebenfalls 56 Verse umfassenden Text „Der dreifache Schmuck der seligen Jungfrauen“ decken (Bl. 59r-63r). Die in Wiesbaden 49 Verse zählende „Warnung vor der Sünde“ ist, wie die „Lilie“, überhaupt nur hier überliefert. Es kann also neben dem Umstand, dass sich das „Himmlische Gastmahl“ ausweislich der erhaltenen Textzeugen innerhalb des Wiesbadener Textverbunds der weitreichendsten Rezeption erfreute, festgestellt werden, dass die kleineren Texte der „Lilien“-Handschrift mehrfach in teils recht engem Überlieferungszusammenhang stehen. Nichts berechtigt aber zu mehr als der Annahme eines in insgesamt drei Handschriften – Wiesbaden, Wien, Königsberg – mehr oder weniger lose hergestellten Konnexes einzelner dieser Texte. In der Königsberg-Torúner Handschrift ging das „Himmlische Gastmahl“ übrigens ausweislich des Katalogs von Ralf Päsler (2000), S. 102 ebenfalls eine enge Verbindung mit „Der Seele Kranz“ ein (Bl. 19v-22v) und verband sich zu einer in den Abschlussversen explizit betitelten19 Gesamtdichtung „Der Kranz“ (Bl. 19v-27v).

In der Wolfenbütteler Handschrift mündet das „Himmlische Gastmahl“ auf Bl. 59v in eine weder in Wiesbaden noch in Königsberg-Torún belegte, über ein Blatt reichende Schilderung der Zustände in der Hölle, was lediglich durch eine nicht abgesetzte, recht dünne Initiale markiert wird. Der in der Wiesbadener Handschrift greifbare, 240 Verse umfassende Text scheint somit ausweislich der anderen Überlieferungsträger ein recht frei ergänzbarer oder auch radikal kürzbarer (Meiningen) Nukleus der geistlichen Rede vom „Himmlischen Gastmahl“ gewesen zu sein.

Dass – wie von Hans Neumann (wohl z.T. ausgehend von Wüst [1909], S. XII-XVI) in 2VL 5, 830 behauptet – alle fünf Wiesbadener Texte auf „einen rhfrk. Verfasser der Zeit um 1250“ zurückgehen, lässt sich dabei nicht erhärten. Neumanns Gesichtspunkte bleiben auch sehr vage und pauschal: Neben dem Wiesbadener Überlieferungskomplex nennt er allein die in Bezug auf Stil und Inhalt gute Vergleichbarkeit sowie ein jeweils anzunehmendes weibliches Publikum. Vielmehr bildeten die kleineren Gedichte der Wiesbadener Hs. 68 sowohl untereinander wie auch in Verbindung v.a. mit der populären Rede von „Der Seele Kranz“ einen Fundus, aus dem sich – mitunter versatzstückweise oder zumindest nicht abgesetzt – paranätische Texte je neu zusammenfügen ließen.

Mit cgm 5249/42f liegt zudem der dritte und vierte Überlieferungsträger vor, die sprachlich eher in den mittel- als in den westdeutschen Bereich weist: Die mittelfränkische Wiesbadener Handschrift sowie die rheinfränkische Meininger Handschrift mit dem darin enthaltenen Gastmahl-Exzerpt entstammen hingegen nicht dem ostfälisch-mittel-niederdeutschen Großraum; Wiesbaden ist allerdings der älteste Textzeuge (und auch Grundlage der oben erwähnten einzigen Textedition durch Paul Wüst [1909]). In chronologischer Hinsicht erhärtet die Identifizierung des Münchner Bruchstücks die Annahme, dass das „Himmlische Gastmahl“ eine recht kontinuierliche Tradition seit mindestens dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts erfuhr, die – zumindest in einem belegten Einzelfall – bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts reichte, ansonsten aber durch drei Textzeugen um 1300 greifbar wird.

Auffällig ist überdies die relativ große Ähnlichkeit des für cgm 5249/42f rekonstruierbaren Formats und der Maße der Wiesbadener Hs. 68 einerseits, der drei späteren Textzeugen andererseits: Das Münchner Fragment bietet fortlaufenden Text und schließt an beiden Längsseiten recht gerade ab, was darauf deutet, dass die ursprüngliche Handschrift kaum breiter gewesen sein kann als das vorliegende Fragment. Der Gedanke an einen womöglich mehrspaltigen Text verbietet sich somit von vornherein. Auch der Schriftspiegel von ca. 6 cm Breite lässt nicht an ein deutlich breiteres Format denken. Die Höhe dieses Textzeugen kann ebenfalls nicht signifikant von derjenigen der Wiesbadener Hs. 68 abgewichen sein: Hierfür spricht der identische Zeilenabstand von 0,5 cm, insbesondere aber der Umstand, dass mit den Versen 34-38 und 45-49 zwei sehr nahe beieinander liegende Passagen des Textes den identischen Platz auf der Vorder- bzw. Rückseite eines Blattes einnahmen. Auf den vierzehn Zeilen aufweisenden Blättern 120rv der Wiesbadener Hs. 68 liegen sich die entsprechenden Verse zwar nicht direkt gegenüber, kommen aber in den Zeilen 4-9 der recto-Seite sowie 14r-4v wenigstens teilweise zur räumlichen Deckung – eine geringfügige Abweichung zum Münchner Fragment, für die Interpolationen, Unterschiede in Schrift und Sprache, ein innerhalb der Handschrift anders liegender Textbeginn oder auch ein geringfügig anderer Schriftspiegel als Erklärung dienen mögen. Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass die beiden früheren und die beiden späteren Textzeugen des „himmlischen Gastmahls“ jeweils einander gut vergleichbare Formate aufweisen.

Das Format der beiden früheren Textzeugen lässt immerhin vermuten, dass das „Himmlische Gastmahl“ sowie die anderen enthaltenen Texte für die Benutzer beider Miniaturbücher um 1300 von hoher Bedeutung waren. Bücher dieser geringen Größe entstanden in der Regel, um gut transportabel und somit ständig verfügbar zu sein – aber auch, um den speziell wertgeschätzten Text durch ein (wie im Falle der Wiesbadener Hs. 68) in präziser Kleinstarbeit ausgeführtes Kunstwerk zu würdigen.20 Der hervorragende Erhaltungszustand der Wiesbadener Handschrift spricht gegen die häufigere Nutzung des winzigen Codex, man muss ihn sich wohl als ein bibliophiles Kabinettstück denken. Darüber hinaus kann leider wenig Spezifisches ausgesagt werden: Untersuchungen zu Miniaturbüchern sind rar, ein Verzeichnis klein(st)formatiger Handschriften ist ein Forschungsdesiderat, und das Standardwerk Louis Wolfgang Bondys: Miniaturbücher. Von den Anfängen bis heute; München 1988 nimmt – bis auf einige pauschale Sätze (S. 4) – die titelgebenden „Anfänge“ vor Erfindung der Druckkunst nicht in den Blick (!). Dass sich im Bereich gedruckter Miniaturbücher seit dem frühen 16. Jahrhundert zunächst ausschließlich religiös-erbauliche Texte nachweisen lassen (Bondy [1988], S. 4-7) steht – so wenig spektakulär dieser Befund sein mag – immerhin nicht eben quer zur Überlieferung der frühen Textzeugen des „Himmlischen Gastmahls“.

2. Ergänzung verstümmelter Verse in cgm 5249/42f

Die Kenntnis des zugrundeliegenden Textes, v.a. aber die Möglichkeit, das überaus kleine Münchner Fragment als Digitalisat weit genauer als etwa mit einer Lupe zu vergrößern, erlauben es, die oben und unten abgeschnittenen Verse in cgm 5249/42f mit einiger Gewissheit über den Befund von Friedrich Keinz und Karl Bartsch hinaus zu lesen. So lassen sich in der obersten Zeile zusätzlich zum von Keinz/Bartsch richtig wiedergegebene gahent anhand der unteren Buchstabenreste eindeutig die Wörter tische niht erkennen, was mit dem Wiesbadener Bestand gut vereinbar ist. Davor stehende Textreste sind hingegen nicht zu identifizieren. Die letzte Zeile des recto-Fragments, über die Keinz/Bartsch keinerlei Angaben machen, enthält ausweislich der oben abgeschnittenen Buchstabenreste die Wörter frevden slvchet, wobei das n durch Nasalstrich gekürzt wurde und für slvchet prinzipiell auch flvchet (zu stv. vliehen oder auch swv. vluochen) in Frage käme: Dies würde aber einen diametralen semantischen Gegensatz zum Textbestand in Wiesbaden bedeuten und auch im Kontext des Münchner Fragments nicht einleuchten. Sluchet zu swv. slûchen „schlingen, schlucken“ ist hingegen sinnvoll. Da ein unmittelbar nachfolgendes, rubriziertes d zwingend einen neuen Vers anzeigt (von dem freilich sonst nichts eindeutig Lesbares verblieben ist; in der Wiesbadener Handschrift steht: Dar umbe muozen si gevaren), ist slvchet ein sich hier nicht glatt fügendes Reimwort. Ursprünglich wird wohl ein auf niht reimendes sliht (aus slichet) zum swv. slichen (= slicken) mit gleicher Bedeutung wie slûchen im Text gestanden haben.

In der ersten Zeile des Münchner verso-Teils sind hinter dem letzten von Keinz/Bartsch korrekt erkannten Wort warheit deutlich die oben abgeschnittenen Buchstaben ver und wohl auch t zu lesen, danach bleibt eine Lücke von etwa sieben Zeichen, in der man, nach einer unlesbaren Lücke von kaum mehr als einem Zeichen, ein w erkennen kann. Entsprechend den Worten des Wiesbadener Codex: Ge louent si mit Anschluss an ein (auch in cgm 5249/42f stehendes) mir ist hier notwendig eine flektierte Form von ver[tr]w[en] (also zu swv. vertrûwen, vertriuwen) einzusetzen (aufgrund des sehr engen Abstands zwischen den am besten erkennbaren Buchstabenresten ver und w offenbar ohne ausgeschriebenen Vokal). Möglich sind ver[tr]w[en si] oder auch ver[tr]w[et ir], Letzteres aufgrund des in der ersten und dritten Zeile der Versoseite vorkommenden iv – gegenüber in bzw. en(e) in Wiesbaden und Wolfenbüttel.

Die unterste Zeile des verso-Abschnitts blieben Keinz/Bartsch komplett schuldig. Mit den heutigen Möglichkeiten ist sie aber – mit Ausnahme des leicht zu ergänzenden zweiten Buchstaben – aus den erhaltenen oberen Buchstabenstücken zu rekonstruieren. Das Ergebnis lässt sich leicht am Wiesbadener Text bestätigen: N[v] kere ich min rede her ab. Insgesamt ergibt die (jeweils fett markierte) Ergänzung des Keinz/Bartschschen Textbestandes, die im folgenden Paragraphen von Bedeutung sein wird, das folgende Resultat:

recto) tische niht gahentverso) iv die warheit. Ver[tr]w[en si] oder [tr]w[et ir]
Bi der welte ist in allen wolmir niht daz ist mir leit
Si sint der welte spise folSwaz iv ze schanden daran
Dez himelriches smach klechetgesiht En triwen des en mag
in niht Wan ir gemvte dieich niht Selbe tet selbe hab
frevden slvchet dN[v] kere ich min rede her ab

3. Abgleichung des Textbestandes

Betrachtet man die oben wiedergegebenen Passus, die das Münchner Bruchstück sowie deren unmittelbar entsprechende Abschnitte in Wiesbaden und Wolfenbüttel wiedergeben (von der Königsberg-Torúner Handschrift und dem Meininger Bruchstück sind leider keine diesbezüglichen Verse erhalten), so hat man eine womöglich ausreichende Basis, um mit aller gebotenen Vorsicht Aussagen über das Verhältnis des Textes in cgm 5249/42f zu diesen beiden Überlieferungsträgern treffen zu können. Zu bedenken ist jedoch, dass der Vergleich des Wiesbadener Texts mit dem Wolfenbütteler und dem überlieferten Königsberg-Torúner Bestand auf eine große Textvarianz deutet; wie erwähnt wurden größere und kleinere Versatzstücke aus anderen Texten den jeweiligen Zeugen inkorporiert. Selbst wenn man solche größeren Einfügungen in den wenigen erhaltenen Münchner Versen nicht festmachen kann, ist keineswegs undenkbar, dass an anderen Stellen des verlorenen Gesamttextes des Münchner Fragments größere Versatzstücke aus anderen Werken standen. Auszuschließen ist nicht einmal, dass cgm 5249/42f ein solches Versatzstück innerhalb eines anderen geistlichen Textes ist und die ursprüngliche Handschrift das „Himmlische Gastmahl“ keineswegs voll überlieferte – auch wenn die drei anderen Überlieferungsträger „ganze“ Texte bieten.

Zunächst gilt es aber festzuhalten, dass in allen drei Passagen eine große Deckung nicht allein des inhaltlich Besagten, sondern auch des (wenngleich dialektal unterschiedlich ausgeprägten) Wortlauts festzustellen ist. Dies ist durchaus bemerkenswert, da andere kurze Dichtungen aus der Wiesbadener „Lilien“-Handschrift, wie oben erwähnt, z.T. mit großen Abweichungen zu Hs. 68 tradiert wurden. Die auffällige Differenz gilt offenkundig auch für größere Teile innerhalb des noch greifbaren Textbestands der Königsberg-Torúner Handschrift 905, der von Fritz Rohde (1911), S. 7f. sowie in der bei Päsler (2000), S. 273 zu sehenden Abbildung der 1930er Jahre von Bl. 25v tradiert wurde. Der Wiesbadener Text wurde dort also nicht allein durch einen Anschluss erweitert, auch die Zufügung von Versatzstücken im Text ist festzustellen. Aufgrund der oben erwähnten Paraphrase, die das Wiesbadener Gedicht „Die drei Blumen des Paradieses“ in der Königsberg-Torúner Handschrift erfuhr, ist diese zumindest partielle Abweichung an sich keineswegs erstaunlich, soll hier aber genauer ausgeführt werden: In Hs. 905 findet sich in den ersten vier Versen ein fast identischer Textbestand in Wiesbaden und Königsberg-Torún, während der von Rohde als „Schluss“ wiedergegebene und in der Abbildung greifbare Abschnitt (Wiesbaden V. 170-207) teils Interpolationen aufweist, teils recht frei denselben Inhalt paraphrasiert, teils aber auch mehrere Verse mit nachgerade demselben Wortlaut führt. Die auf Bl. 27v befindlichen Schlussverse des in Hs. 905 überlieferten Gedichts (Rohde [1911], S. 8) haben in der Wiesbadener Handschrift dagegen gar keine Entsprechung.

Betrachtet man die oben wiedergegebenen Passus der Wiesbadener Verse 34-38 und 45-49, so stehen die Wiesbadener (nachfolgend: Wi) und die Wolfenbütteler Handschrift (Wo),21 unerachtet der chronologischen, teils auch geographischen „Mittelposition“ von cgm 5249/42f., in der Summe der relevanten Binde- und Scheidewörter einander näher als dem Münchner Fragment (M). Dies kann, da der Wolfenbütteler „Kerntext“ insgesamt, bei einigen Zusatzversen und signifikanteren Abweichungen (etwa V. 144-146, 175-178), Wiesbaden sehr nahe steht, kaum verwundern. Die festzustellende größere Nähe von WiWo gegenüber M gilt jedoch insbesondere für die letzten drei Verse des Münchner Textbestandes und ihre Vergleichspassagen nicht, also immerhin für ein Viertel aller herbeigezogenen Verse.

Anhaltspunkte für die Annahme einer insgesamt größeren Nähe von WiWo zueinander als eines dieser Zeugen zu M sind bei den Versen der Münchner recto-Seite die folgenden: In V. 35 (Zählung nach Wüst) das initiale Mit in WiWo gegenüber Bi in M, im Folgevers irre bzw. erer in WiWo gegenüber der wenig eleganten Wiederholung von welte in M und v.a. die für V. 38 festzustellende deutlich größere Nähe von WiWo gegenüber M, die sich insbesondere im dort völlig anderen und zudem schlecht reimenden Reimwort slvchet (:niht) gegenüber zut bzw. ticht (also jeweils nhd. „zieht“) ausdrückt. Von deutlich geringerem, vielleicht gar keinem Aussagewert scheint mir dagegen die Differenz geint/ gan in WiWo gegenüber gahent (also wohl zu swv. gâhen) zu sein (V. 35), auch alze und so im Folgevers von WiWo gegenüber allen (M) ist wohl nicht eben aussagekräftig. Umgekehrt sind zwei Stellen, an denen Wo auf den ersten Blick M näher als Wi zu stehen scheint, wohl ebenfalls nicht gewichtig: Zum einen ist spisen in Wi gegenüber spise in WoM ebenfalls als Singular des sowohl schwach wie stark belegten Substantivs zu verstehen, zum anderen ist das in Wi entsprechungslose Vorkommen von smach (M) und smecket (Wo) kein Argument gegen die größere Nähe von WiWo gegenüber M, da dieser Vers in der Wiesbadener Handschrift wohl verderbt ist (vgl. auch Wüsts Konjektur inruchent für in si).22

Einen nur zum Teil gleichen Befund ergibt die Betrachtung der Vergleichsstellen zur Münchner verso-Seite, finden sich doch neben gewichtigen Anhaltspunkten für die bisher anzunehmende engere Verbindung WiWo gegenüber M auch Stellen, bei denen M einem der beiden bekannten Überlieferungsträger näher steht als dieser dem jeweils anderen. Die beiden Hauptargumente für eine engere Verbindung von WiWo gegenüber M sind hier zum einen in (Wi) bzw. en(e) (Wo) in V. 45 und 47 gegenüber iv in M. Die Personengruppe, welche gegenüber der Mahnrede des Ich-Sprechers ungläubig bleibt und daran Schande gewinnt, wechselt somit in M von denen, die sine [Christi] ladunge versmehent (Wi, V. 33) zum unmittelbaren Zielpublikum der Rede. Allerdings mag ein schlichter Lesefehler vom graphisch bisweilen sehr ähnlichen n zu u bzw. v oder umgekehrt zur so oder so semantisch nicht sinnlosen Abweichung geführt haben – die Bedeutsamkeit dieser Differenz zwischen WiWo und M ist somit für die Frage, inwiefern M womöglich einem anderen Traditionsstrang angehört, nicht eindeutig zu klären. Aufklärung hätte diesbezüglich die leider unmögliche Entzifferung der in V. 45 hinter Ver[tr]w geschriebenen Buchstaben in M bringen können – je nachdem, ob dort das im Kontext sinnvolle Personalpronomen ir oder das auf einen Lesefehler aus in deutende si steht. Zum anderen ist die eindeutige Entsprechung von WiWo gegenüber M in V. 46 zu nennen, wo man Ge louent bzw. Gelöuen gegenüber Ver[tr]w[en] oder Ver[tr]w[et] liest. Schain da (V. 47, Wi) gegenüber schande(n) (MWo) wird wohl ebenso verderbt – und damit ohne Aussagekraft – sein wie gesiht (V. 47, M) gegenüber geschiet/ gheschicht in WiWo. Eindeutig Wi näher als Wo steht M hingegen im mit Negationspartikel versehenen Verbum in V. 48 inmach (Wi) bzw. enmag (M) gegenüber enacht (Wo) sowie im Verbum kere(n) in V. 50 gegenüber do in Wo. Insbesondere in V. 50 steht M Wi näher als Wo, es findet sich in den ersten beiden Textzeugen das Possessivpronomen min(e) gegenüber dem Demonstrativpronomen der in M; zudem hat Wo lediglich aue statt her ave bzw. her ab in WiM. Hinzuweisen ist auch darauf, dass Wo die in WiM auf vier Worte beschränkte Sentenz V. 49 umfangreicher wiedergibt (und vielleicht nicht als prägnantes Gnomon kennt): Süluen dede he is ok süluen haue.

Insgesamt kann man, vor allem angesichts der auf der recto-Seite beobachteten Übereinstimmungen von WiWo gegenüber M, wohl von einer größeren Nähe der bereits bekannten Textzeugen gegenüber dem neu zugeschriebenen Fragment sprechen. Dass dies angesichts der in den letzten drei Versen des verso-Bestandes bemerkten gegenläufigen Tendenzen, der an den anderen drei Überlieferungszeugen festzustellenden Varianz und aufgrund der geringen Vergleichsgrundlage von lediglich einem Dutzend Versen ausreichte, um für M von einem anderen Überlieferungsstrang als WiWo (sowie einer z.T. völlig anders gestalteten Königsberg-Torúner Fassung) auszugehen, der an ein mehrzweigiges Stemma denken ließe, wäre aber eine wohl zu gewagte Behauptung.

Mit dem von Heinrich Niewöhner identifizierten Münchner Fragment cgm 5249/42f greifen wir einen Textzeugen der im 13. und 14. Jahrhundert jedenfalls nicht ungeläufigen geistlichen Rede vom „Himmlischen Gastmahl“ sozusagen beim äußersten Ende ihrer Tischdecke: Die Hamburger Notiz im Nachlass Niewöhners stellt uns einen altbekannten Neufund vor, der u.a. hinsichtlich seiner Entstehungszeit und -region, des ursprünglichen Formats des Überlieferungsträgers, aber auch angesichts seines gegenüber der Keinz/Bartschen Edition um mehrere Verse erweiterbaren Textbestands ein interessantes „missing link“ in der Tradition dieser religiösen Rede darstellt. Inwiefern Niewöhner quasi aus dem Grab heraus die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem bisher fast unbekannten spätmittelalterlichen Text katalysiert hat, muss sich in der Zukunft erweisen.

Anmerkungen

1 Vgl. Kirchhoff, Matthias/ Schäfer, Janina: Inhaltlich unbestimmbare Bruchstücke? – Neues zu den „Märenfragmenten“ FB 150a, b und c; in: IASL online [21.1.2012].

2 Vgl. Schneider, Karin: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die mittelalterlichen Fragmente Cgm 5249-5250 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V,8), Wiesbaden 2005, S. 81.

3 Friedrich Keinz: Mittheilungen aus der Münchener Kön. Bibliothek, in: Germania 31 (1886), S. 57-93, 128, hier S. 88. Darin bearbeitete Karl Bartsch das vorliegende Bruchstück.

4 In der handschriftlichen Beilage wird Keinz’ und Bartschs Edition irrtümlich auf 1888 datiert.

5 Es ist mir allerdings nicht gelungen, einen vor Niewöhners Tod 1959 veröffentlichten Beleg des Sprichworts mit Verweis auf das „Himmlische Gastmahl“ zu finden.

6 Ich danke Dr. Max Boeters, Hamburg, für diesen Hinweis.

7 Vgl.: Wüst, Paul (Hg:) Die Lilie, eine mittelfränkische Dichtung in Reimprosa, und andere geistliche Gedichte, aus der Wiesbadener Handschrift, Berlin 1909, S. 68-72, hier S. 68f.

8 Vgl. Wüst (1909), S. XXIII; Schneider, Karin: Gotische Schriften in deutscher Sprache, I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300, Text- und Tafelband, Wiesbaden 1987, S. 259.

9 Wüst konjiziert: inruchent

10 Dieser letzte Vers wird (ebenso wie im Fall des Wolfenbütteler Vergleichsstücks) angefügt, um im dritten Abschnitt dieses Beitrags den zuvor rekonstruierten Vers des Münchner Bruchstücks sinnvoll vergleichen zu können.

11 Schneider (2005), S. 81 sowie dies.: Die Fragmente mittelalterlicher deutscher Versdichtung der Bayerischen Staatsbibliothek München (Cgm 5249/1-79) (ZfdA. Beiheft 1), Stuttgart 1996, S. 73.

12 http://www.handschriftencensus.de/1622 [Abruf vom 28.4.2011].

13 Vgl. Päsler, Ralf: Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg (herausgegeben von Uwe Meves), München 2000, S. 101-103, 273, zum „Himmlischen Gastmahl“ S. 102.

14 Hans Neumann (2VL 5, 831) gibt die Bl. 22v-25r an. Er folgt hierin offenbar der Dissertation von Fritz Rohde: Ein mnd. Gedicht über die kreuzigung, das begräbnis und die auferstehung Christi aus der Königsberger hs. nr. 905, Königsberg 1911, S. 7. Rohde wertet ebd. den zuoberst von Bl. 25v durch Initiale markierten Neuansatz im Text als eigenständiges „gedicht von ‚der werlde minne’“. Dies ist jedoch nicht richtig, da das von Päsler (2000), S. 273 reproduzierte Bl. 25v die in Wiesbaden, Hs. 68 auf V. 177-207 (mit Zusätzen) befindlichen Verse wiedergibt. Vermutlich hat die zuoberst von Bl. 25v angebrachte, mit einer D-Initiale versehene Überschrift (Diz ist der w[er]lde minne/ De da hat so kranke sinne), die sich nicht im „Himmlischen Gastmahl“ findet, Rohde und Neumann darüber hinweggetäuscht, dass er darunter wiedergegebene Text dieser geistlichen Rede angehört.

15 Freundliche Mitteilung des Torúner Universitätsbibliothekars Dr. Andrzej Mycio (E-mails vom 6. und 7. 10. 2010)

16 Freundliche Mitteilung von Dr. habil. Ralf G. Päsler, Marburg (E-mail vom 29.4.2011). Päsler teilte mir zu dieser Gelegenheit mit, dass verschollene Torúner Handschriften schon öfters, zuletzt in Warschau, wieder aufgetaucht seien und schrieb in Bezug auf Hs. 905: „Möglich, dass auch diese Hs. sich unerkannt in einer anderen Bibliothek befindet.“

17 Somit wird hier konsequent der für den ältesten Überlieferungsträger Wiesbaden geläufige Titel des Textes verwendet.

18 Vgl. 2VL 8, 1017-1022 (Werner Fechter).

19 Diz buchelin heizet der kranz,/ gemachet in der engele tanz. Zit. nach: Rohde (1911), S. 8. Es werden hier die V. 57f. von der „Seelen Kranz“ wieder aufgenommen, vgl. Päsler (2000), S. 102.

20 Freundliche Auskunft von Herrn Peter Goslar vom Miniaturbuchclub Berlin (E-Mail vom 3.6.2011). Ein weiterer von Goslar genannter Aspekt zur Herstellung früher Miniaturbücher – das bequeme Verbergen verfänglicher Texte – dürfte im vorliegenden Fall zu vernachlässigen sein.

21 Hartmut Beckers bevorzugt in 2VL 9, 940 die bei häufigerer Schreibung nicht eben sehr gut unterscheidbaren Siglen W (Wiesbaden) und w (Wolfenbüttel).

22 Wüsts Konjektur inruchent kann dabei m.E. nicht überzeugen. Denkbar wäre eher eine Inversion is (mit in = nhd. „ihnen“ und nicht als Negationspartikel), wobei die Handschriftenvorlage wohl ist und nicht is schrieb (vgl. V. 15f.), also wohl kein bloßer Lesefehler vorliegt. Womöglich ist auch das als Konjunktiv zumindest sehr merkwürdige si nicht von vornherein als so beabsichtigter Text auszuscheiden.