Hans Sachs: Historia: Königin Deudalinda mit dem meerwunder [PDF]
| | | Der Lamparder cronica sagt das,[Bl. 59b] | Die Chronik der Lombarden erzählt davon,
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| | | Wie ein köng in Lamparten saß, | wie ein König über die Lombardei herrschte,
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| | | Agilulphus genennt mit nam, | dessen Name Agilulphus war,
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| | | Der viertzehendt könig freysam. | der vierzehnte gewaltige König.
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5 | | | Hett deß königs tochter, genannt | Er hatte die Tochter des bayrischen Königs zur Frau,
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| | | Deudalinda, auß Bayerland, | Deudalinda genannt,
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| | | Ein zartes weib, ehrlich und frumb. | eine anmutige, ehrenhafte und tüchtige Frau.
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| | | Die eins tags in dem königthumb | Die fuhr eines Tages innerhalb des Königreichs ans Meer aus,
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| A | | Außfuhr an das meer spatzieren | um spazieren zu gehen,
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10 | | | Und wolt ein klein sich ermayiren | und wollte ein wenig
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| | | Mit iren edelen junckfrawen, | mit ihren adligen Jungfrauen den Frühling genießen,
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| | | An deß meeres gstatt in einr awen, | am Meeresstrand in einer Aue;
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| | | Da zu erfrischen ir gemüt | dort (wollte sie) ihr Gemüt erfrischen
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| | | In deß grunenden meyen blüt. | in der Blüte des grünenden Mai.
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15 | | | Mancherley farb blümlein sie funden. | Sie fanden Blümchen von vielerlei Farbe.
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| | | Da sie artliche kräntzlein bunden | Sie banden dort kunstvolle Kränzlein
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| | | Und hetten da singende reyen | und tanzten dort singend Reigen
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| | | Mit ander freuden mancherleyen, | neben vielerlei anderen Freuden;
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| | | Eine hie und die ander dort. | die eine hier und die andere dort.
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20 | | | Aber die köngin an dem ort | Die Königin ging dann aber an diesem Ort
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| | | Fuß für fuß gieng da in kürtzweyl | Schritt für Schritt als Zeitvertreib
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| | | Etwas fast auff ein viertheilmeyl | etwas zu weit fort, eine Viertelmeile
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| A | | In dem gestreuß ans meers gestatt. | im Gesträuch am Meeresstrand.
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| | | Da sie alsbald ersehen hatt | Dort sah sie bald
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25 | | | In dem meer ein schröcklich meerwunder, | im Meer ein schreckliches Meerwunder,
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| | | Einer grewlichen gstalt besunder, | von einer ausnehmend scheußlichen Gestalt,
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| | | Das uberal verwachssen war, | das am ganzen Körper missgestaltet war
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| | | Wie ein ber, mit rabschwartzem haar. | wie ein Bär, mit rabenschwarzem Haar;
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| | | Sein augen glasteten mit fewer. | seine Augen loderten voller Feuer,
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30 | | | Auch hett das meerwunder unghewer | zudem hatte das furchtbare Meerwunder
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| | | Zwen flügel wie die fledermeuß.[Bl. 59c] | zwei Flügel wie die Fledermäuse.
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| | | Diß meerwunder auß dem gestreuß | Dieses Meerwunder aus dem Gesträuch
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| | | Eylt geschwind her auß dem meer tiff | eilte geschwind aus dem tiefen Meer heraus
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| | | Und die zart königin ergriff. | und ergriff die anmutige Königin.
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35 | | | Die köngin thet ihm widerstreben, | Die Königin leistete ihm Widerstand
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| | | Schrey: "Mordio!" von leib und leben. | (und) schrie: „Mordio!“, um Leib und Leben.
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| | | Doch unerhöret war ihr stimm. | Doch ihre Stimme wurde nicht gehört.
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| | | Das meerwunder in sterck mit grimm | Das Meerwunder überwältigte sie voller Stärke und Ingrimm,
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| | | Sie ubergweltigt, mit ir rang, | kämpfte mir ihr,
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40 | | | Fellt sie und in dem gstreuß notzwang. | brachte sie zu Fall und vergewaltigte sie im Gesträuch.
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| | | Die köngin schrey in hertzenleyd. | Die Königin schrie vor Herzeleid.
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| | | Indem ein ritter vom gejeyd | Unterdessen kam von ungefähr ein Ritter
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| | | Ungfehr reit, hört die kläglich stimm | von der Jagd dahergeritten; er hörte die klagende Stimme
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| | | Der frawen und rennet in grimm | der Frau und eilte ingrimmig
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45 | | | Dem gestreuß zu, dem geschrey nachsucht. | auf das Gesträuch zu. Er ging dem Geschrei auf den Grund.
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| | | Da gab das meerwunder die flucht | Da flüchtete das Meerwunder
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| | | Und sprang hinein das wüttend meer. | und sprang in das wütende Meer hinein.
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| | | Die köngin betrübt weynet sehr. | Die betrübte Königin weinte bitterlich.
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| | | Doch zeygt sie dem ritter nicht an, | Dennoch berichtete sie dem Ritter nicht,
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50 | | | Was das meerwunder hett gethan. | was das Meerwunder getan hatte.
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| | | Sagt, es hett sie wöllen ertrencken, | Sie sagte, es habe sie ertränken
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| | | Mit gewalt in das meer versencken. | und mit Gewalt ins Meer versenken wollen.
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| | | Der beleyt die köngin forchtsam, | Der (Ritter) geleitete die verängstigte Königin,
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| | | Biß zu dem frawenzimmer kam. | bis sie zu ihrem Gefolge gelangte.
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55 | | | Die war vol hertzleyd, angst und schrecken, | Die (Königin) war erfüllt von Herzeleid, Angst und Schrecken,
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| | | Vol unmuts in dem hertzen stecken. | voller Verzagtheit im Herzen.
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| | | Doch sagt sie niemand die geschicht. | Dennoch erzählte sie niemandem die Geschichte.
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| | | Nach eim monat fund sie gericht, | Nach einem Monat bemerkte die Königin,
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| | | Daß die köngin war schwanger worn | dass sie
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60 | | | Von dem meerwundr, und hat geborn | von dem Meerwunder schwanger geworden war. Und sie gebar
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| | | Nach der zeit ein ungschaffen sun, | nach der Zeit (der Schwangerschaft) einen missgestalteten Sohn,
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| | | Rauch und schwartz, gleich seim vatter nun. | haarig und schwarz, der nun seinem Vater glich.
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| | | Deß iederman groß wunder hatt | Darüber wunderte sich jedermann sehr
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| | | Und hielt es für ein wunderthat. | und hielt es für eine Wundertat.
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65 | | | Dises kind aufferzogen wur, | Dieses Kind wurde groß gezogen;
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| | | Das war gantz dückischer natur. | es war von ganz tückischem Wesen:
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| | | In seiner jugend junger jar | In seiner Jugend, in jungen Jahren
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| | | Es vil kinder bescheding war. | verletzte es viele Kinder.
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| | | Mit sein fingern ir augn außstach, | Mit seinen Fingern stach es ihre Augen aus,
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70 | | | Sie stürtzt, ihn arm und beyn abbrach. | warf sie zu Boden, riss ihnen Arme und Beine aus.
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| | | Als er kam in das zwölffte jar,[Bl. 59d] | Als er ins zwölfte Lebensjahr kam,
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| | | Er gar wüst und tyrannisch war | war er sehr wüst und tyrannisch
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| | | Und bracht umb vil der edlen knaben, | und brachte viele adlige Knaben um,
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| | | Wo die mit im geschertzet haben. | wenn diese mit ihm spielten.
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75 | | | Das hofgsind hett an im ein grawen, | Der Hofgesellschaft graute es vor ihm,
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| | | Er schwecht auch frawen und junckfrauwen. | er missbrauchte auch Damen und Jungfrauen.
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| | | Zuletzt ward er gar ungestümb, | Schließlich wurde er (so) überaus anmaßend,
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| | | Daß er bracht etlich männer umb, | dass er etliche Männer umbrachte,
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| | | Wer ihm solch böse stück ward wehrn, | die ihn an seinen bösen Taten hinderten
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80 | | | Ihn ziehen wolt zu fürstling ehrn. | und ihn zu fürstlichen Ehren erziehen wollten.
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| | | Als in der köng einsmals selbst strafft | Als ihn der König einmal persönlich
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| | | Mit worten, wurd er so boßhafft, | mit Worten tadelte, wurde er so boshaft,
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| | | Daß er den köng mit trutz loff an, | dass er den König voller Feindseligkeit
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| | | Mit zogner wehr, und ihn wolt han | mit gezogener Waffe angriff, und ihn
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85 | | | Erstochen auff deß königs saal. | in der Halle des Königs erstechen wollte.
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| | | Der allein war und hett dißmal | Dieser war ohne Gefolge und hatte bei dieser Gelegenheit
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| | | Sein rechten son, welcher bald zug | seinen rechtmäßigen Sohn (bei sich), der sofort
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| | | Von ledr und auff das monstrum schlug | das Schwert zog und auf das Monstrum einschlug
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| | | Und dem könig da halff zu stund. | und dem König dort augenblicklich half.
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90 | | | Doch wurdens all beyd von im wund. | Jedoch wurden sie alle beide von ihm (dem Bastard) verwundet.
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| | | Doch hawtens im auch wunden groß. | Dennoch schlugen sie ihm ebenfalls große Wunden.
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| | | Die köngin kam und selber schoß | Die Königin kam und schoss höchstpersönlich
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| | | Mit dem handbogen manchen stral, | mit dem Handbogen viele Pfeile,
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| | | Biß sie doch erlegten zumal | bis sie schließlich zusammen
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95 | | | Dises ungefüge monstrum. | dieses grässliche Monstrum erlegten.
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| | | Nachdem der alte könig frum | Danach sprach der treffliche alte König
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| | | Die köngin war anreden thun: | die Königin an:
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| | | "Diser ist nicht gwest mein sun.", | „Dieser ist nicht mein Sohn gewesen.“,
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| | | Weyl er nicht gwest wer seinr natur. | da er nicht seinem (des Königs) Wesen entsprochen habe.
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100 | | | "Darumb bekenn lauter und pur, | „Darum bekenne klar und rein,
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| | | Von wem du den entpfangen hast! | von wem du diesen empfangen hast!
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| | | Deß ehbruchs solt kein uberlast | Du sollst nicht übermäßig am Ehebruch leiden,
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| | | Haben, sey dir warhafft vergeben, | er sei dir wahrhaft vergeben,
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| | | Nicht mehr zu dencken dein gantz leben." | dass du nicht dein ganzes Leben daran denken musst.
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105 | | | Da sagt die köngin her besunder, | Da berichtete die Königin ausführlich,
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| | | Was sich mit dem schendling meerwunder | was sich mit dem schändlichen Meerwunder
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| | | Vor diser zeit begeben het, | vor Zeiten begeben hatte;
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| | | Und den ritter anzeygen thet, | und sie benannte den Ritter,
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| | | Der auch irem gschrey zu war kommen, | der ihrem Geschrei gefolgt war,
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110 | | | Als das meerwundr die flucht het gnommen. | (und) wie das Meerwunder die Flucht ergriffen hatte.
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| | | Der ritter da bekennen thet,[Bl. 60a] | Der Ritter bestätigte dies,
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| | | Der hinderwertling gsehen het | welcher das Meerwunder von hinten
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| | | Das meerwunder ins meere springen. | ins Meer springen gesehen hatte.
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| | | Der köng gelaubet disen dingen. | Der König glaubte diesen Darstellungen
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115 | | | Aller sach wol zufrieden war. | (und) war mit den Dingen hochzufrieden.
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| | | Doch hett er lust auch mit gefahr, | Doch hatte er, um ihm zu schaden, Lust darauf,
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| | | Dises meerwunder selbst zu sehen, | dieses Meerwunder selbst zu sehen,
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| | | Von dem diser grewl war geschehen. | von dem diese Gräueltat geschehen war.
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| | | Und reit mit seinem son außhin. | Und (er) ritt mit seinem Sohn hinaus
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120 | | | Namb auch mit ihm die königin | (und) nahm auch die Königin mit sich
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| | | Gleich zu dem gstreuß, da ir vor jarn | direkt zu dem Gesträuch, wo ihr vor Jahren
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| | | Die grewligkeit war widerfahrn | die Grausamkeit von diesem schrecklichen Meerwunder
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| | | Von disem schröcklichen meerwunder. | widerfahren war.
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| | | Die zwen verhielten sich besunder | Die beiden versteckten sich abseits
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125 | | | Im gstreuß. die köngin gieng einwertz, | im Gesträuch; die Königin ging hinein,
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| | | Doch war ir darzu schwer das hertz. | doch war ihr dabei das Herz schwer.
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| | | Indems meerwunder auß dem meer | Im selben Augenblick sprang das Meerwunder aus dem Meer
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| | | Sprang und eylt auff die köngin sehr. | und stürzte auf die Königin zu.
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| | | Die fieng mit krefften an zu schreyen | Die fing aus Leibeskräften an,
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130 | | | Umb hilff, gar kleglich disen zweyen. | um Hilfe zu schreien, was diese beiden beklagenswert fanden.
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| | | Vatter und son von leder zugen, | Vater und Sohn zogen das Schwert,
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| | | Auffs meerwunder stachen und schlugen. | stachen und schlugen auf das Meerwunder ein,
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| | | Das sich ernstlich zu wehr ward stellen | das sich erbittert zur Wehr setzte
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| | | Mit beissen, werffen und mit krellen, | mit Beißen, Schleudern und mit Krallen,
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135 | | | Wann es war sehr krefftig und starck | denn es war sehr kräftig und stark
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| | | Und sehr schwind, gantz mördisch und arg. | und sehr geschwind, überaus mordgierig und hinterlistig.
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| | | Wehrt sich ihr auff ein gantze stund, | (Es) erwehrte sich ihrer fast eine ganze Stunde lang,
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| | | Biß sie es doch hawten todwund, | bis sie ihm doch tödliche Wunden schlugen,
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| | | Daß es fiel und lag todt zuletzt. | so dass es stürzte und schließlich tot dalag.
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140 | | | Der köng sich seiner gstalt entsetzt. | Der König entsetzte sich vor seinem Anblick.
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| | | Zogen wider heym von dem meer | Sie zogen zurück heimwärts von dem Meer
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| | | Und sageten gott lob und ehr. | und sagten Gott Lob und Ehre.
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| | | Die gschicht geschehen ist fürwar | Die Geschichte ist wahrlich geschehen
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| | | Ungfehr, als man sechshundert jar | ungefähr, als man sechshundert Jahre
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145 | | | Nach Christi geburt zehlet hat. | nach Christi Geburt gezählt hatte.
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| | | Beschluß | Schluss(folgerung)
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| | | Auß der geschicht man klar verstaht, | Aus der Geschichte versteht man deutlich,
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| | | Daß ein weyb nich sol weit spatzieren | dass eine Frau nicht weitab spazieren gehen soll
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| | | Und auß fürwitz sol umbrefieren | und aus Neugierde an Orten umherschweifen
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150 | | | An orten, so sind öd und wildt.[Bl. 60b] | die verlassen und verwildert sind
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| | | Daran ein ehrlich weibesbildt | und an denen eine ehrliche Frauengestalt
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| | | Etwann geschendet werden mag | zuweilen gegen ihren Willen
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| | | Ohn iren willn bey nacht und tag | bei Tag und Nacht
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| | | Von einem unverschempten mann, | von einem schamlosen Mann geschändet werden kann,
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155 | | | Da sie sich nicht entschütten kann | da sie sich nicht mit ihrem
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| | | Mit irm notschreyen oder gelffen. | Hilfeschreien oder Rufen befreien kann
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| | | Ir auch auß gfahr kan niemand helffen. | (und) ihr auch niemand aus (der) Gefahr helfen kann.
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| | | Auch nicht kan helffn ir gegenwehr, | Ebenso wenig hilft (ihr) ihre Gegenwehr,
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| | | Sonder kombt umb ir weiblich ehr, | vielmehr wird sie um ihre weibliche Ehre gebracht,
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160 | | | Die sie nicht widerbringen mag. | die sie nicht wiederzugewinnen vermag;
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| | | Hat darob schand ir lebent tag. | sie hat deshalb ihr Lebtag Schande.
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| | | Ob es gleich sonst kein mensch mehr weiß, | Obwohl sich sonst kein Mensch mehr daran erinnert,
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| | | Muß sie doch sorgen böß geschreys. | muss sie sich doch vor übler Nachrede fürchten.
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| | | Derhalb sol sich ein weib einziehen, | Aus diesem Grund soll eine Frau zurückgezogen leben,
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165 | | | Alle einsame örter fliehen | alle einsamen Orte meiden
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| | | Und sich halten bey der gemeyn. | und sich in Gesellschaft aufhalten,
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| | | Da sie verwart mag sicher seyn | in der sie sicher aufgehoben ist,
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| | | In zucht irer weiblichen ehr | wie es ihrer weiblichen Ehre gebührt,
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| | | Bey ander ehrling frawen mehr | bei vielen anderen ehrlichen Frauen,
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170 | | | Und werd gefreyt solch ungemachs. | so dass sie von solchem Ungemach verschont bleibt.
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| A | | Den trewen rhat geyt ihr Hans Sachs. | Diesen getreuen Rat gibt ihr Hans Sachs.
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