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Das Meerwunder

Meerwunder – Editionstexte

Hans Sachs: Die kunigin peschlieff ein merwunder [PDF]

〈1〉
AK〈A〉gilulphus, ein kunig, in Lamparten sas,[Bl. 35r]
Het ein gmahel, Teudelinda genenet was,
Ein adelich und uberschone frawe;
Die mit irem frawenzimer in zucht und er
5KEins tags hinaus ging spaciren ans wilde mer,
Kurzweil zu haben in der grunen awe.
Die kunigin von in spacirt
AKWeit nauff an des meres gstat pesunder.
Vast auf ein vïrtail meil revirt.
10Da aus dem mer sprang ein grewlichs merwunder,
Wie ein per zottet vngehewr.
Het flugel geleich einer fledermausse,
AKSein augen prunen wie ein feur.
KDas ergrieff die kungin in dem gestrawse
15Und gewalticlich mit ir rang,
Sie schentlich zu notzwingen.
Sie schray und weret sich sein lang,
Doch ubertrang
Das merwunder, und sie notzwang.
20Und gleich zu diesen dingen
 
2
KKam ain riter am jaid, ailt zu der stim gar ser.
Das merwunder gab pald die flucht, sprang in des mer.
AKDoch det sie dem ritter die schant nit klagen.
KDer pelait sie, pis sie zum frawenzimer kam.
25KMit dem eilt sie hin haim trawrig in groser scham.
Doch thet sie iren unfal nimant sagen.
Nun war schwanger das trawrig weib
KVon dem merwunder und ein sun gepare;
Rawch, schwarcz und harig war sein leib,
30Ser grewlich. als er alt war auf zwolff jare,[Bl. 35v]
KWart er ganz wilt und ungestuom
Und schwechtt mit gewalt ser vil junckfrauen
Und pracht auch vil des adels umm.
Vor im het iderman ein forcht und grawen.
35Den kung er uberlawffen thet
Im sal, in zu erstechen.
Der kunig noch ein sunne het,
Der an der stet
Dem vater sein leben erret.
40Werten sich paid des frechen.
 
3
Der sie paid wunt, dergleich hawtens im wunden gros.
Die kungin selb vil scharpfer pfeille in in schos,
KPÿs doch das wild kunter von in nam schaden.
Der kunig sprach: "dis ist gewesen nicht mein sunn."
45Pat die kungin, die warheit im zu sagen thun;
KSulches epruechs wolt er sie frey pegnaden.
All ding sagt her die kunigin,
Wie sie wer notzwungen von dem merwunder.
Der kung mit seim sunn raiset hin
50Ans mers gestat, verpargen sich pesunder.
Schickt die kungin im gstrews aufwerz.
Das merwunder sprang wider aus dem mere,
Mit der kungin zu haben scherz.
Die fraw war aber mortliche schreyen sere.
55Vom vater und sunn wart zuhant
Das merwunder erschlagen.
Gerochen wart der kungin schant,
Das es nimant
Erfure in Lamparter lant -
60Thuet die Cronica sagen.

1: Überschrift: Anno salutis 1552/ am 16 tag septembris/ In des romers gesang wis/ Die kunigin peschlieff ein merwunder
8: hinter weit gestr. Buchstabe
13: prunen: e über dem Wort nachgetragen
23: die über der Zeile nachgetragen und eingewiesen

1: Goedeke: Überschrift: Die königin mit dem merwunder. In der gesangweis Römers 15. septemb. 1552
5: Goedeke: eins tages ging hinaus spaziren an daß mer
8: Goedeke: Weit] Mitten
13: Goedeke: prunen] brannen
14: Goedeke: in dem] bald im
21: Goedeke: Kam ein ritter vom jeid, eilt zu dem geschrei gar ser
23: Goedeke: klagen] sagen (:klagen)
24: Goedeke: begleit
25: Goedeke: hin fehlt
28: Goedeke: und] sie
31: Goedeke: ganz] gar
43: Goedeke: Bis entlich daß wilt kint von in nam schaden
46: Goedeke: Solchs ebruchs halb, so wolt er sie begnaden