Die Handlung des Maschinenstücks von Pierre Corneille, Andromède, greift auf den antiken Mythos zurück, der die Geschichte von Andromeda und Perseus erzählt. Perseus ist seit dem 16. Jahrhundert eng mit der Repräsentationskultur der Herrscherhäuser in Europa, besonders Italiens, verbunden. Für diese Rolle ist er prädestiniert, weil er ein außergewöhnlicher Held ist: schön, klug und tapfer. Die Darstellung einer heldenhaften Rettung ist ein Element des Herrscherlobes (Panegyrik). Andromeda wird im Mythos von einem Seeungeheuer bedroht, weil der Gott der Meere auf Rache aus ist. Andromedas Geliebter, Phinée, jedoch ist feige und überlässt sie ihrem Schicksal. Perseus allerdings befreit die Schöne aus Liebe zu ihr. Zugleich will er damit die Herrschaft über ihr Königreich beanspruchen. Die Rettungsaktion der jungen Frau mittels Pegasus in der Luft ist spektakulär.

Wer ist Andromède?

Andromeda bzw. Andromède gilt in der griechischen Mythologie als die Tochter Kassiopeias, Königin von Äthiopien, und von Kepheus, ihrem Gatten. In Pierre Corneilles Maschinentheater lobt die Königin die Schönheit ihrer Tochter, nicht ihre eigene (wie im antiken Mythos). Sie behauptet, jene sei schöner als die Nereïden. Daraufhin schickt Neptun als mächtiger Gott des Meeres ein Seeungeheuer, das als ‚monstre‘ betitelt wird und dem jedes Jahr als Sühne eine Frau geopfert wird. Die Handlung setzt ein, als Venus durch eine mächtige Maschine auf die Bühne gefahren wird und verkündet, dass Andromède heiraten werde. Allerdings, wie die folgende Handlung zeigen wird, muss sie zunächst von Perseus gerettet werden, weil sie selbst für das Opfer ausgewählt wurde. Bis Perseus und Andromède glücklich vereint werden können, muss Perseus nicht nur das Ungeheuer töten und auf Pegasus durch die Luft reiten, er muss als Held auch den eigentlichen Verlobten der Königstochter töten. Phineus nämlich ist selbst zu feige, um Andromeda zu retten, dann will er ihren Retter selbst töten, um gleichsam Rache zu üben. Als Halbgott trägt Perseus, der durch die Tötung der Gorgone Medusa bekannt ist, ihr Haupt als magische Waffe mit sich, das ihm zum Schluss hilft, Phineus mit seinen Unterstützern zu töten. So wird das Königreich am Ende wieder befriedet und der glückliche Ausgang beendet das Spektakel.

Bis Perseus und Andromède glücklich vereint werden können, muss Perseus nicht nur das Ungeheuer töten und auf Pegasus durch die Luft reiten, er muss als Held auch den eigentlichen Verlobten der Königstochter töten.

Welche mythischen Figuren wirken im Stück mit? Und wie muss man sich die Bezüge untereinander vorstellen?

Welche mythischen Figuren wirken im Stück mit? Und wie muss man sich die Bezüge untereinander vorstellen?

Jeder Mythos wird in unterschiedlichen Varianten in der Antike zunächst mündlich und dann in verschiedenen Gattungen auch schriftlich überliefert. Die Rezeptionsgeschichte antiker Mythen ist im 17. Jahrhundert in Frankreich eng an die Vermittlung über Italien gebunden. Im Folgenden wird der Ablauf der Handlung anhand der einzelnen Akte resümiert, um mit Blick auf die Theatermaschinerie die enge Verzahnung von Szenografie und Handlungsablauf vorzustellen.

Andromède als Maschinentheater

Handlungsablauf:

Prolog

Melpomene vole dans le Char du Soleil et ayant pris place auprès de luy ils unissent leurs voix et chantent un air à la louange du Roy

Melpomène vole dans le Char du Soleil et ayant pris place auprès de luy ils unissent leurs voix et chantent un air à la louange du Roy.

Melpomène fliegt in den Wagen der Sonne und nachdem sie neben ihr Platz genommen hat, vereinen sie ihre Stimmen und singen eine Arie zu Ehren des Königs.

Zu Beginn steht eine aufwendig inszenierte Lobrede auf das Theater und den König. Melpomène, die Muse der tragischen Dichtung, trifft in einer Gebirgslandschaft auf die Sonne, die in einem hell erleuchteten Wagen, gezogen von vier Pferden, durch die Lüfte gleitet. Melpomène spricht die Sonne an: Sie soll ihren Lauf unterbrechen, um das Theater erstrahlen zu lassen. Die Muse freut sich, als die Sonne ihr anbietet, neben ihr im Wagen Platz zu nehmen und gemeinsam den König mit Gesang zu preisen. Die beiden beschließen gemeinsam abzufahren. Zusammen wollen sie im gesamten Universum ihren Hymnus verbreiten.

„de nouveaux Hymnes (…) charment toutes les oreilles & les esprits“ (Gazette, S. 252)

L’Etoille de Venus qui sert de machine pour apporter cette Deesse jusqu’au milieu du Theatre et le peuple luy adresse ces vœux par un hymne que chante les musiciens.

L’Etoille de Venus qui sert de machine pour apporter cette Deesse jusqu’au milieu du Theatre et le peuple luy adresse ces vœux par un hymne que chante les musiciens.

Stern der Venus, der sich einer Maschine bedient, um die Göttin auf die Theaterbühne zu transportieren und das Volk, das ihr seine Wünsche durch einen Hymnus, den die Musiker singen, kundtut.

Für jeden einzelnen Akt wird eine neue Szenografie präsentiert. Die Handlung beginnt sodann wie folgt:

Akt I

Die Szenerie verändert sich: An die Stelle der Gebirgslandschaft tritt ein Ausschnitt aus dem Reich des äthiopischen Königs Cephée. Prächtige Gebäude säumen die Bühne. Für einen kurzen Moment können die Zuschauenden die eindrucksvolle Kulisse auf sich wirken lassen. Dann erscheinen die Königin Cassiope und Persée, dessen Herkunft noch nicht bekannt ist.

Die Handlung beginnt also in medias res. Erst das Gespräch zwischen Cassiope und Persée zeigt, dass der glanzvolle Schein trügt und bringt die Vorgeschichte ans Licht: Einst beleidigte die Königin Cassiope die Nereïden: Sie pries ihre Tochter Andromède als das schönste aller Wesen. Seither wählt das göttliche Los jeden Monat ein Opfer aus, das einem schrecklichen Ungeheuer dargebracht wird. Damit sollen Neptun und die Nereïden besänftigt werden. Bisher wurde Andromède selbst verschont, doch die sechste Wahl steht kurz bevor. Auch kann Persée seine Zuneigung zu Andromède nicht verbergen. Diese ist jedoch bereits Phinée versprochen, dem Sohn des königlichen Bruders. Hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Neigung hatte sich Cephée, nun ebenfalls Teil des Bühnengeschehens, für Phinée als seinen Nachfolger entschieden.

Die Unterhaltung wird unvermittelt unterbrochen, und die Zuschauenden werden Zeugen einiger aufsehenerregender Maschinenbewegungen: Wie von Zauberhand schwebt Venus herbei und verkündet das nahe Ende der Opfergaben sowie die abendliche Hochzeit Andromèdes. Nachdem Venus wieder in den Wolken verschwunden ist, bleiben die Königseltern beglückt und Persée seufzend zurück.

„Neptune sort aussi des eaux armé de son trident & monté sur un char en forme de coquille tiré par des chevaux marins, accompagné de ses Tritons sonnant de leurs conques, dont le bruit est redoublé par l’écho des rochers, & leur en promet la vengeance.“ (Gazette, S. 254)

Jean Berain: Neptune Jean Berain: Neptune
Jean Berain: Neptune
Aeole

Æole descend avec huit vents le Tonnerre commence à rouler accompagné des clairs, deux Vents fondent sur Andromede l’enlevent jusques dans les nues.

Æole steigt mit seinen acht Winden vom Himmel herab, der Donner beginnt zu grollen, begleitet von Blitzen, zwei Winde stürzen sich auf Andromède und entführen sie in den Himmel.

Akt II

Ein lieblicher Garten. Andromède und einige Nymphen flechten eine Blumengirlande, mit der Phinée als Dank für die frohe Botschaft der Venus gekrönt werden soll. Phinée erscheint, begleitet von Gesang, auf der Bühne. Schroff unterbricht der königliche Botschafter Timante die anmutige Szenerie. Er verkündet resigniert, dass das tödliche Los auf Andromède gefallen sei. Während sich diese gefasst ihrem Schicksal hingibt, fällt es Phinée schwer, seine Gefühle zu kontrollieren und es entspannt sich ein hitziger Dialog zwischen den beiden. Schließlich kommt der König hinzu, doch Phinée lässt sich nicht besänftigen. Er fährt mit seinen blasphemischen Äußerungen fort, selbst als sich der Himmel donnergrollend öffnet und Æole, begleitet von acht Winden, hinabgleitet. Nach einigen maschinengesteuerten Flugmanövern befiehlt er aufgebracht zwei seiner Winde, Andromède zu entführen. Die Winde stürzen sich sogleich aus der Luft auf die Königstochter. Der Akt wird beschlossen mit den Beteuerungen Persées, Andromède zu retten.

Die Macht der acht Winde, die als Allegorien in der Luft zu erkennen sind, wird durch Blitz und Donner noch verstärkt. Wie wichtig diese Licht- und Blitzeffekte sind, wird erkennbar, wenn man sich zwei Figuren ansieht, die den Blitz verkörpern sollen:

Blitz Blitz


Andromede attachée au Rocher pour estre devorée par le Monstre est delivrée par Persée.

Andromède, an einen Felsen gefesselt, um von dem Monster verschlungen zu werden, wird von Persée befreit.

Detail

Akt III

Der Zuschauende wird mit einer furchteinflößenden Szenerie konfrontiert: In einer unwirtlichen Gegend fesseln die zwei Winde Æoles Andromède an einen Felsen, um sie dem Ungeheuer auszuliefern. Dort wird sie von Timante sowie Cassiope, die sich schuldig fühlt und mittels Blasphemie versucht, die Aversion der Götter auf sich zu lenken, entdeckt. Doch das Ungetier scheint vielmehr durch die Worte der Königin angestachelt zu werden und nähert sich bedrohlich Andromède. Während Cassiope versucht, sich in die Wellen zu stürzen und nur mühsam von Timante zurückgehalten werden kann, eilt überraschend Persée auf dem geflügelten Pégase reitend zu Hilfe. In der einen Hand hält er sein Schild, hinter dem sich das Haupt der Medusa verbirgt, in der anderen sein Schwert, mit dem er das Ungeheuer schlussendlich, begleitet von Chor und Musik, überwältigt. Cassiope sieht voller Freude die Prophezeiung der Venus doch noch als erfüllt an und verkündet die Hochzeit Andromèdes mit Persée. Dieser eröffnet den Umstehenden schließlich, dass Jupiter sein Vater sei. Die Winde führen in der Folge seinen Befehl aus und befreien Andromède – unter Jubelgeschrei des Volkes verlässt das Paar siegesgewiss die Bühne. Doch das Glück ist nicht von langer Dauer: Drei Nereïden erscheinen und verkünden, protegiert von Neptun, ihre baldige Rache.


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Wiederverwertung der Maschine Andromèdes im Ballet de la nuit:

Ballet de la nuit, Szenografie von Henri Gissey.


Iunon dans un superbe Char se promene en l’air dont les poëtes luy attribuent l’Empire et assure Phinée de la protection.

Iunon dans un superbe Char se promene en l’air dont les poëtes luy attribuent l’Empire et assure Phinée de la protection.

Junon schwebt in einem prächtigen Wagen der der Luft umher, die ihr die Dichter als ihr Reich zuschreiben und sichert Phinée Schutz zu.

Akt IV

Erneut wechselt der Schauplatz: Die Handlung spielt sich nun vor dem königlichen Palast ab. Hier soll die abendliche Trauung von Andromède und ihrem Retter Persée stattfinden. Eine Unterhaltung der beiden bringt ans Licht, dass Andromède sich mit dieser Heirat dem Willen ihres Vaters beugt. Sie fühlt sich ihrem Befreier verpflichtet. Persée will nun, aus Liebe zu ihr, auf die Heirat verzichten. Hin- und hergerissen ruft Andromède die Nymphen an und klagt über Phinée, der sie kampflos ihrem tragischen Schicksal überlassen hatte. Phinée erscheint und im anschließenden Wortgefecht machen sich die einst Verlobten gegenseitig Vorwürfe. Nachdem sich Andromède schließlich doch für Persée entscheidet, fasst Phinée erbittert den Entschluss, gegen diesen in den Kampf zu ziehen. Auch die Warnung seines Freundes Ammon, dass Persée im Besitz des Medusenhauptes sei, kann ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen. In einem prächtigen, von zwei Pfauen gezogenem Wagen, taucht unerwartet Junon am Himmel auf und gelobt, Phinée zu unterstützen: Die Schlacht zwischen den Menschen wird zu einem Machtkampf zwischen den Göttern. In dem abschließenden Gespräch beschließen die Königseltern, die Götter für die bevorstehende Heirat mit Opfergaben gnädig zu stimmen.

Iunon fait prendre place a Cephée père d’Anromede et a Persée auprès d’elle Neptune fait le mesme honneur a Cassiope et a la princesse Andromede

Iunon fait prendre place a Cephée père d’Anromede et a Persée auprès d’elle Neptune fait le mesme honneur a Cassiope et a la princesse Andromede.

Junon macht Platz für Cephée, dem Vater von Andromède, und Persée, neben ihr erweist Neptune Cassiope und der Prinzessin Andromède die gleiche Ehre.

Akt V

Aber Andromède erklärt, dass ihre endgültige Entscheidung zugunsten Persées gefallen sei, da dieser ihr die Wahl lasse, während Phinée sie lediglich besitzen wolle. Der Disput spitzt sich weiter zu und gewinnt durch einen schnellen Wortwechsel (Stichomythie) an Vehemenz. Phinée verlässt schließlich erregt die Bühne. Jetzt sprechen Cephée und Cassiope miteinander, werden aber durch die Nymphe Aglante unterbrochen. Diese berichtet aufgebracht, dass Phinée zusammen mit einigen Meuterern Persée angegriffen habe. Während Cassiope und Cephée sich uneins sind, ob sie Unterstützung schicken oder die Entscheidung über den Ausgang des Gefechtes dem Himmel überlassen sollen, eilt Phorbas herbei und verkündet den Sieg Persées. Dieser konnte mithilfe des Medusenhauptes den Kampf für sich entscheiden. Beglückt wollen Cephée und der eintreffende Persée endlich die Pforten des Tempels durchschreiten, doch wird ihnen der Zugang verwehrt. Unvermittelt erscheint der Götterbote Mercure und verkündet die Ankunft Jupiters.

„Ce nouveau prodige cause une grande frayeur dans le cœur du Roy & de sa suite: mais elle est à l’instant dissipée par le Messager des Dieux qui descendent du Ciel, & s’estant fait reconnoistre à son Caducée les avertit que cette closture ne s’est point faite par hazard, mais par la volonté divine, laquelle Jupiter vient lui mesme leur declarer.“ (Gazette, S. 258)

Der Göttervater Jupiter gleitet, von Maschinen gesteuert, auf seinem prachtvollen Thron hinab und beschließt die Versöhnung zwischen Göttern und Menschen. Begleitet von Musik und Gesang machen die einstigen Antagonisten Junon und Neptun den Königseltern, Persée sowie Andromède auf ihrer Wolke Platz und gemeinsam steigen alle in den Himmel auf.