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Die Abteilungen der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft sind Teile des Instituts für Literaturwissenschaft. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter decken in Forschung und Lehre die deutschsprachige Literatur von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart sowie ihre Verbindungen zu anderen Literaturen ab. Wir bauen auf regionale und internationale Vernetzungen: Gemeinsame Veranstaltungen mit dem Literaturhaus Stuttgart, Exkursionen zum Deutschen Literaturarchiv Marbach, ein reger Austausch mit unseren Erasmus-Partnern in Europa und Germanistische Institutspartnerschaften mit Ouagadougou (Burkina Faso) und Peking (China) etwa bereichern unsere Lehre und Forschung. Zugleich suchen wir die interdisziplinäre Diskussion, ob in Lehrveranstaltungen, gemeinsamen Studiengängen mit anderen Geisteswissenschaften (MA Wissenskulturen) oder der Informationstechnik (MA Digital Humanities) und Forschung (SRC Text Studies).
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Zum Tod von Prof. em. Dr. Volker Klotz am 31. Mai 2023
Nachruf der NDL
Als Literaturwissenschaftler etablierte sich Volker Klotz 1959 mit seiner Dissertation Offene und geschlossene Form im Drama an der Universität Darmstadt. Die Arbeit wurde zum Standardwerk; in immer neuen Auflagen gedruckt, ist sie auch heute noch bei Hanser verfügbar. In zeitlicher Nähe zu Peter Szondis Theorie des modernen Dramas (1956) erschienen, versucht auch Klotz, die neuen Entwicklungen des Dramas im 20. Jahrhundert konzeptionell zu fassen. Das Interesse und die Leidenschaft für Drama und Theater kennzeichnen viele seiner zahlreichen Publikationen. Dabei befasst er sich schon früh auch mit der Rolle des Publikums in seiner Studie Dramaturgie des Publikums. Wie Bühne und Publikum aufeinander eingehen, insbesondere bei Raimund, Büchner, Wedekind, Horváth, Gatti und im politischen Agitationstheater (1976) und zeigt darin, wie er Impulse des politischen Agitationstheaters der 1960er und 1970er Jahre aufgreift und mit dem historischen Blick zurück untersucht. Auch war er ein Vorreiter der Kritik am Kanon, denn mit seinem Werk Operette. Portrait und Handbuch einer unerhörten Kunst (1991) stellt er eine Gattung des Musiktheaters in den Vordergrund, die gemeinhin für eher leichte Muse gilt, deren politisches Potential er jedoch sichtbar machte. Viele weitere Publikationen zu Drama und Theater folgten und alle begleiteten seine Tätigkeit nicht nur als Hochschulprofessor, sondern auch als Theaterkritiker und dramaturgischer Mitarbeiter an Inszenierungen.
Nach seiner Habilitation an der TU Berlin, dieses Mal zur Prosa, Die erzählte Stadt – ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin (1968) erhielt Volker Klotz 1971 den Ruf an die Universität Stuttgart. Dort hatte er bis zu seiner Emeritierung 1995 den Lehrstuhl für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft innerhalb der Germanistik inne. Seine Forschung zu Abenteuer-Romanen (1979), zum europäischen Kunstmärchen, dessen Geschichte er in 25 Kapiteln darstellte (1985), zu Venus Maria. Auflebende Frauenstatuen in der Novellistik (2000) zeigen einen Wissenschaftler, der auch bei seiner Beschäftigung mit Prosa populären Gattungen Beachtung schenkte. Schreibend bis ins hohe Alter, veröffentlichte er noch 2020 die Monographie Scheu vorm Artefakt? Abenteuer eines kunstbedachten Gambusinos und Wanderpredigers.
Als Professor an der Universität Stuttgart gelang es Volker Klotz, Generationen von Literaturwissenschaftler:innen für Literatur und Theater zu begeistern. Früh kooperierte er mit dem Staatstheater und lud Schauspieler:innen in seine Veranstaltungen ein. Gesine Mahr, Bühnen- und Kostümbildnerin, eine ehemalige Studentin, die Volker Klotz in den 1990er Jahren erlebte, erinnert sich:
„Als junge Studentin erlebte ich Volker Klotz in meinem ersten Germanistik-Studienjahr. Ich war bei ihm sowohl im Grundkurs als auch in seiner Vorlesungsreihe über die geschlossene und offene Form des Dramas. Er verstand es wie kein anderer, mit damals recht ungewöhnlichen Methoden uns Erstsemester für Texte und Sprache zu begeistern. So fuhren wir gleich zu Beginn unseres Studiums zusammen mit Volker Klotz zu einem Intensivwochenende ins Herrenberger Naturfreundehaus. Uns erwarteten spannende Tage, in denen wir, von ihm angefeuert, in flammenden Reden unseren Mitstudent:innen unsere Lieblingsbücher präsentieren sollten, so dass sie ‚gar nicht anders können, als sich gleich montags dieses Buch zu besorgen‘. Am eigenen Leib sollten wir erfahren, wie Texte zum Leben erwachen, indem wir uns einige Szenen aus Der Revisor von Gogol in verteilten Rollen gegenseitig vorspielten. Wir diskutierten heiß über unterschiedliche Textauslegungen der Vorträge und bekamen dadurch alle ein erstes Gespür für Semantik. Klotz liebte es zu provozieren und uns herauszufordern, aus der Komfortzone zu holen und uns dazu zu bringen, uns authentisch zu äußern. Immer wieder hinterfragte er das Gesagte, unsere Aussagen, nach Sinn und Gehalt. Er wurde nicht müde uns auf leere Worthülsen hinzuweisen. Das war nicht nur sehr lehrreich, sondern auch ziemlich anstrengend. Die meisten Student:innen verband eine Hassliebe zu ihm. Wir spürten zwar alle, dass dieser kluge Mann uns sehr viel beibringen und vermitteln konnte, andererseits fürchteten wir uns auch etwas vor ihm. Wenn er den Eindruck hatte, dass wir uns nicht glaubwürdig äußerten, so konnte einen beißende Klotzsche Ironie treffen, die einfach saß wie ein Messerstich. Unverblümt teilte er uns im Laufe des Einführungskurses mit, ob er uns für das Studium der allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaften geeignet hielt. Das war für den/die ein oder anderen/andere hart, aber sehr ehrlich und v.a. rechtzeitig, so dass man zu Beginn des Studiums sich nochmals überprüfen konnte.
Doch Volker Klotz hatte auch eine ganz andere Seite. Er liebte es zu feiern, war ein sehr geselliger Mensch und konnte es gar nicht verstehen, wenn Student:innen ins Bett gehen wollten. Das Feiern, gemeinsam zu trinken und zu essen, gehörte für ihn untrennbar zur Arbeit dazu.
Eine Textanalyse bei Volker Klotz war spannend wie ein Detektivroman. Bei ihm ging es darum, verborgenen Geheimnissen auf die Spur zu kommen, jeden Winkel des Textes zu durchforsten, um erst einmal die Fragen zu vergrößern und nicht gleich mit den erstbesten Antworten um die Ecke zu kommen.
Ein großartiges Event waren seine Vorlesungen im Tiefenhörsaal, die meist komplett überfüllt waren. Oft hatte er Schauspieler:innen des Staatstheaters zu Gast, die die Aufgabe hatten, die Dramentexte plastisch und erlebbar zu machen. Für mich persönlich bedeutete diese Vorlesungsreihe, dass ich meine Liebe zum Theater entdeckte.“
Einige Jahre später begegnet Gesine Mahr Volker Klotz nach seiner Emeritierung als Dozent an der Kunstakademie Stuttgart in einem Seminar zur Operette: „Dann kam Volker Klotz und er brannte für die Operette. Enthusiastisch machte er uns bewusst, dass die Operette zu ihrer Entstehungszeit auf Rebellion aus war, Systeme und Hierarchiegefüge kritisierte und aufs Korn nahm. Wenn er über die Operette sprach, so leuchteten seine Augen.“
Bei einem Gespräch vor vielen Jahren meinte Volker Klotz, dass man bei seinem Namen zuerst an die geschlossene und offene Form im Drama dächte, würde ein Sargnagel für ihn. Sein Tod erinnert uns an Lehre und Leidenschaft und an die Breite seiner Forschertätigkeit, er fordert uns zur Neulektüre auf.
Apl. Prof. Dr. Annette Bühler-Dietrich, mit herzlichem Dank an Gesine Mahr
Trauerrede von Thomas Rothschild
Thomas Rothschild hielt an der Beerdigung von Volker Klotz eine Trauerrede. Wir freuen uns, sie hier als PDF veröffentlichen zu dürfen.

Katja Klumpp
Sekretariat NDL I und NDL II