Das als KOALA-Innovationsinitiative von der PSE Stuttgart-Ludwigsburg unterstützte Lehrprojekt Kulturelle Bildung und soziale Ungleichheit, das im Sommersemester 2018 in Kooperation des Fachbereichs Kultur- und Medienbildung (KuMeBi) der PH Ludwigsburg und der Abteilung Neuere Deutsche Literatur I (NDL I) sowie des Studienlotsenprojekts der Philosophisch-Historischen Fakultät der Uni Stuttgart umgesetzt wurde, schaffte ein hochschulübergreifendes Angebot für Lehramtsstudierende des Faches Deutsch und Studierende der KuMeBi. Es sah vor, zwei Seminare der beiden Hochschulen, die sich aus ihrer jeweiligen Perspektive dem Thema widmeten, an mehreren Schnittstellen zusammenzuführen und die Studierenden gemeinsam mit Expert*innen aus Kunst und dem Bildungssektor kultursoziologischen und sozioökonomischen Fragen nachspüren zu lassen.
Nach einem ersten Austausch zu Semesterbeginn fand im Mai 2018 eine dreitägige Arbeitsphase statt. Einen ersten Input gab eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen aus Kunst, Bildung und Gesellschaft. In den anschließenden Workshoptagen durchliefen die Studierenden in durchmischten Kleingruppen unter Anleitung von Kulturschaffenden theoretische und praktische Arbeitsphasen. Übergeordnete Ziele der Initiative waren
- die Sensibilisierung und nachhaltige Reflexionsbereitschaft der zukünftigen Lehrer*innen und Kulturpädagog*innen für die gegenseitige Bedingung von sozialen Voraussetzungen und kultureller Bildung;
- die Auseinandersetzung der Studierenden mit der zunehmenden Heterogenisierung innerhalb der Schüler*innenschaft, der Studierenden und der Lehrer*innenschaft;
- die Schaffung eines Mehrwerts für die beteiligten Gruppen durch ein erweitertes Bildungsverständnis, das fachwissenschaftliche und pädagogische Aspekte, theoretisches Wissen und praktische Anwendung sowie institutionelle und private Bildung vereint;
- die Qualitätssteigerung des Lehrangebots durch die Vernetzung vielfältiger Perspektiven und Fachdisziplinen.
Die zukünftigen Pädagog*innen sollten ihr eigenes Fremd- und Selbstbild sowie das der Schüler*innen reflektieren und Konzepte enwickeln, wie sie ihre Schüler*innen für die heterogene Gesellschaft sensibilisieren können. Nicht nur im Hinblick auf Geschlecht, Religion oder ethnische Herkunft differenzieren sich die Schulklassen resp. die Gesellschaft immer mehr aus, mit der zunehmenden Weitung der Schere zwischen Arm und Reich muss auch die soziale Herkunft wieder mehr in den Blick genommen werden. Während Themen wie Inklusion oder interkulturelle Kommunikation in der bildungswissenschaftlichen Lehre eine immer stärkere Rolle spielen, bleibt das Thema soziale Herkunft oft unbeachtet. Dies mag unterschiedliche Gründe haben, die es erst noch zu eruieren gilt. Das Projekt Kulturelle Bildung und soziale Ungleichheit reflektiert bildungstheoretische Zugänge zum Thema ‚soziale Herkunft‘ und versucht damit die Diskurse um Heterogenität, Diversity und Intersektionalität zu erweitern. Dezidiertes Ziel des Projekts war somit die Bewusstmachung der Phänomene um Differenzen und Differenzlinien in unserer Gesellschaft, wobei die Innovation in der Perspektivierung der sozialen Herkunft lag. Zudem wurden die Studierenden durch die Seminare in die Lage versetzt, ihre eigenen Lebenswelten und die der Schüler*innen beziehungsweise der Zielgruppen im Bereich der Kultur- und Medienbildung zu reflektieren. Sie vertieften ihr Verständnis von sozialer Ungleichheit und entwickelten so eine eigene Haltung zum Thema sozialer Herkunft.
Das Lehrprojekt stellte eine interdisziplinäre Verbindung zweier Seminare her und wurde von drei Projektleiterinnen gestützt.
Als Teil des lehrerbildenden Studienfachs Deutsch bot das von Yvonne Zimmermann geleitete Seminar Soziale Ausgrenzung in der Literatur eine gute Plattform für zukünftige Deutschlehrer, um literarische Texte auf die Themenfelder der Heterogenität hin zu untersuchen. Darüber hinaus wurden mit Blick auf das Sozialsystem Literatur nicht nur an Rollenbildern wie ‚Autor‘ und ‚Leser‘ Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und kultureller Bildung verdeutlicht, auch literaturwissenschaftliche Begrifflichkeiten wie ‚Arbeiterliteratur‘, ‚Hohe Literatur‘ oder etwa ‚Trivialliteratur‘ verweisen auf einen Riss in unserer Gesellschaft, den es zu reflektieren galt.
Im von Kathrin Leipold geleiteten Baustein „Bildung und soziale Ungleichheit“ setzten die Studierenden sich mit den Spannungsfeldern, in denen Bildung stattfindet, auseinander: Bildung soll Mut machen, etwas bewirken - gleichzeitig hat sie einen festen gesellschaftlichen Platz mit festen Inhalten, sie reproduziert, anstatt etwas zu verändern. Vor diesem Hintergrund perspektivierten die Studierenden die Verschränkung von kultureller Bildung und sozialer Herkunft. Fragen nach Gründen ungleicher sozialer Teilhabe als auch nach den eigenen Handlungsmöglichkeiten standen im Mittelpunkt.
Durch die Beteiligung des Studienverlaufsmonitorings, das im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts QuaLIKiSS realisiert wird und die Förderung individuellen Studienerfolgs als zentrales Anliegen hat, kam eine weitere Perspektive hinzu. Vertreten wurde sie durch die Studienlotsin der Philosophisch-Historischen Fakultät Gitte Lindmaier. Sie weiß aus Gesprächen mit Studierenden, dass die soziale Herkunft (insbesondere das Spannungsfeld Selbstfinanzierung des Studiums vs. zeitliche Investition ins Studium) und kulturelle Sozialisation (vor allem der Zugang zu geisteswissenschaftlichen Studieninhalten) entscheidende Faktoren für einen erfolgreichen Studienverlauf sein können.
Bezüglich der Seminare schöpfte das Projekt aus schon bestehenden Angeboten der Hochschulen, erweitert aber durch die Zusammenführung die Perspektive auf das Thema. Die Zusammenführung der Gruppen fand ganz bewusst erst nach den fachspezifischen Schwerpunktsetzungen in den Einzelseminaren statt, um ohne ‚Verwässerung‘ der Lehrinhalte von der interdisziplinären Ausrichtung zu profitieren und mit eigenem fachspezifischem Vorwissen in die gemeinsamen Sitzungen gehen zu können.
Am Donnerstag, 17. Mai 2018 fand zunächst eine ins Projekt einführende öffentliche Podiumsdiskussion im Café Faust statt, bei der Vertreter*innen aus Wissenschaft und Bildung die wechselseitige Bedingung von kultureller Bildung und sozialer Herkunft. Eingeleitet wurde der Abend mit einer Inszenierung von Adham Numan und Hannah Hess, die in eine zweitägige Workshopphase in Kooperation mit und in den Räumlichkeiten des Künstlerhauses Stuttgart mündete.
Die Studierenden arbeiteten dann am Freitag, 18. Mai 2018 im Künstlerhaus Stuttgart in drei Workshops mit Expert*innen unterschiedlicher Sparten, die sich in ihrer eigenen Praxis mit dem Thema soziale Ungleichheit auseinandersetzten. Sie näherten sich in diskursiven und praktischen Arbeitsphasen mit jeweils einer aus beiden Studiengängen durchmischten Teilgruppe der Studierenden der Thematik.
Am zweiten Workshoptag (19. Mai) wurde der vielfältige Input unter Anleitung der Initiativverantwortlichen reflektiert, mit den Erwartungshorizonten der Studierenden abgeglichen und produktiv genutzt. Hier fungierten die Studierenden als Expert*innen ihrer jeweiligen Fachrichtungen. Angeleitet von den Studierenden der KuMeBi konnten Lehramtsstudierende beispielsweise praxisnahe pädagogische Methoden einüben, die sie zur Erweiterung ihres didaktischen Repertoires nutzen können. Im Gegenzug dazu konnten die KuMeBi-Studierenden, instruiert von den Lehramststudierenden, tiefere Einblicke in die wissenschaftliche Analyse und Interpretation von literarischen Texten als Medium der Ausprägung gesellschaftspolitischer Haltungen erhalten.
Projektleiter*innen
Kathrin Leipold – Dozentin in der Kultur- und Medienbildung an der PH Ludwigsburg & Projektmitarbeiter an der PSE
Gitte Lindmaier – Studienlotsin der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Stuttgart
Dr. Yvonne Zimmermann – Wissenschaftliche Angestellte und Studiengangsmanagerin der Neueren deutschen Literatur I an der Universität Stuttgart
Podiumsdiskussion Teilnehmer*innen
Dr. Claus Baumann (Moderator) – Dozent im Geisteswissenschaftlichen Propädeutikum (Fachbereich Philosophie) der Philosophisch-Historischen Fakultät & Gründer des Arbeitskreises Bildung und soziale Ungleichheit an der Universität Stuttgart
Jaana Espenlaub (Diskussionsteilnehmerin) – Regionalkoordinatorin Baden-Württembergische von ArbeiterKind.de
Dr. Patrick Glogner-Pilz (Diskussionsteilnehmer) – Dozent der Kultur- und Medienbildung an der PH Ludwigsburg
Hannah Jasna Hess (Diskussionsteilnehmerin & Theaterperformance) – Studentin der Kultur- und Medienbildung an der PH Ludwigsburg
Adham Numan (Theaterperformance) – Student der Philosophie an der Universität Stuttgart & frei arbeitender Schauspieler, Regisseur und Kritiker
Jochen Raithel (Diskussionsteilnehmer) – Leiter des Kunstzentrums Karlskaserne in Ludwigsburg
Rosalie Schweiker (Diskussionsteilnehmerin) – freie Künsterlin aus London
Jeannette von Wolff (Moderatorin) – Beraterin der Zentralen Studienberatung der Universität Stuttgart
Workshopleiter*innen
Rosalie Schweiker (Workshopleiterin) – freie Künsterlin aus London
Francis Seeck (Workshopleiter*in) – Autor*in, Antidiskriminierungstrainer*in und Doktorand*in
Timm Stafe (Workshopleiter) – Doktorand der Pädagogik, Thema: Institutionelle Diskriminierung an Hochschulen und Universitäten
Jun.-Prof. Dr. Ulaş Aktaş (Workshopleiter) – Junior-Professor an der Kunstakademie Düsseldorf
Website: Anna Thomas-Pfeiffer
Video/Audio: Lena Schaffer und Sakip Ahmed Özcan
Fotografisch: Lena Schaffer und Sakip Ahmed Özcan
Es ist Freitagmorgen – im lichtdurchfluteten Raum des Künstlerhauses laufen nun drei Workshops parallel. In jedem Drittel des Raumes herrscht eine andere Stimmung. Während ich Rosalie Schweikers hautfarbenen, riesigen, wirklich sehr riesigen BH in den Händen halte, fällt mein Blick auf den Stuhlkreis der Workshopgruppe gegenüber. Auch die lernen sich wohl gerade kennen. Abgesehen von den Themen selbst ist für unseren Workshop rückblickend entscheidend, wie die in London lebende Künstlerin mit diesen Themen umgeht. Entscheidend ist ihre Art, Dinge an- und auszusprechen. Auf Nachfrage schildert sie zum Beispiel schonungslos, wie unwohl sie sich zeitweise auf dem Podium der Podiumsdiskussion gefühlt hat oder wie viel Geld sie für den Workshop erhält. Die Summe habe ich längst vergessen. Geblieben ist hingegen der Eindruck einer Gesprächsebene, die auf Transparenz und Ehrlichkeit beruht. Ohne Kompromisse: In kleinem Umfeld erproben, was in größerer Dimension noch so schwierig und unerreichbar erscheint. Um entsprechende Prinzipien gesellschaftlich wirksam zu machen, muss man nun einmal bei sich selbst anfangen. Schwieriger als gedacht. Das zeigt sich auch in der zweiten Hälfte des Workshops. Er wird eingeleitet mit der Aufforderung, selbst etwas zu produzieren. Gequält von der Vorstellung, dass nach dem „Darüber-Reden" nichts mehr kommt, stürzen wir uns an einen der Tische und machen etwas, das man in die Hand nehmen kann. Innerhalb von zwei oder drei Stunden finden Idee und Umsetzung statt: Ergebnis ist dieser kleine Katalog zu Bourdieus Habitus Theorie. Vielleicht illustriert er das Plädoyer, nicht von der Frisur eines Menschen auf seine Urlaubsziele oder Frühstücksgewohnheiten zu schließen. Vielleicht fordert der Katalog auf, Stereotypen oder den eigenen Musikgeschmack zu überdenken. Vielleicht steht der Katalog aber auch mehr dafür, in kleinstem zeitlichen Rahmen aus Ideen etwas entstehen zu lassen. Vielleicht ist er ein kleines, bescheidenes Sinnbild dafür, wie schnell etwas sichtbar und greifbar wird, sobald man es nur angeht, weil man es eben angehen will. --- Carl Breisig & Marie Wagner
Yvonne Zimmermann
Dr.Akademische Rätin, Studiengangsmanagerin & Mutterschutzbeauftragte