Unheimliche Bühnen der Zukunft? Wie dSimon (2021) eine Symbiose aus KI und Theaterpraxis entwirft
Von Paula Semar
In vielen gegenwärtigen Theaterproduktionen ist der Einsatz von KI und das Experimentieren mit nicht-menschlichen, programmierten Entitäten mittlerweile gang und gäbe. Es gibt unzählige Bereiche, in denen KI eingesetzt wird: VR-Vorstellungen, virtuelle Charaktere oder KI-Stimmfiguren, dynamische Bühnenbilder oder das Theater als Raum für augmented reality. Seit jeher werden im Theater unbelebte Figuren eingesetzt. Man denke zum Beispiel an das Figurentheater Bunraku aus Japan, die Marionette oder die in jeder Kultur vertretene Handpuppe. Sie alle haben Eines gemeinsam, sie werden von Menschenhand gesteuert, sind unbeseelt, wie KI. In unserem Zeitalter, dem 21. Jahrhundert, nehmen Technik und künstliche Intelligenz immer mehr Raum ein. Die immer stärker technisierte Lebenswelt beeinflusst unsere Wahrnehmung und diese Entwicklung strahlt auch ins Theater aus. Bei der Integration von unbelebten Präsenzen auf der Bühne wird heute verstärkt mit KI experimentiert. Die Marionetten von heute sind also immer häufiger von KI gesteuerte Menschmaschinen oder Stimmfiguren. In diesem Essay widme ich mich der Frage, ob der Einsatz von künstlichen Intelligenzen im Theater eine unheimliche Wirkung erzeugt, ähnlich wie Freud in seinem Essay „Das Unheimliche“ (1919) sie für Puppen, Automaten und künstliche Wesen beschreibt. Wie wird dieses unheimliche Potential des „technological Other“ (Braidotti 2014) im Theater der Gegenwart genutzt?
In Medien und Film (z.B. Ex Machina, Alex Garland, 2015) wird oft suggeriert, dass KI und seelenlose Entitäten bedrohlich und gruselig seien. Die Annahme, dass von unbelebten Figuren immer ein Effekt des Unheimlichen ausgeht, findet in den Beobachtungen des japanischen Robotikers Masahiro Mori einen Namen: Seine Hypothese besagt, dass Maschinen in das sogenannte „Uncanny Valley“ fallen können – also für den Menschen abschreckend wirken –, sobald eine zu große
Menschenähnlichkeit oder hyperrealistische Ästhetik vorliegt. Dieser Effekt ist auch relevant für die Bühnenarbeit und kann wichtig werden, wenn man darauf achten will, eben nicht in das „Uncanny Valley“ zu fallen. Inwiefern der „Uncanny Valley“-Effekt für den Einsatz mit KI bedeutsam wird, möchte ich am Beispiel des KI-Theaterstücks dSimon (2021) untersuchen. Das dokumentarische Drama wurde in der Schauspielperiode 2022/23 am Schauspielhaus in Zürich uraufgeführt. Die Programmiererin Tammara Leites erstellte dafür ein künstliches Ebenbild des Performancekünstlers Simon Senn, das dann in Interaktion mit seinem wahren Ich trat und sich die KI im Dialog autonom entwickelte. Die Programmiererin Tammara Leites erstellte die KI dSimon, die man über eine Website oder eine Smartphone-App kennenlernen und mit der man interagieren konnte. Schnell zeigte dSimon aber ein überraschendes Verhalten gegenüber bestimmten Besuchern der Website und gegenüber Simon Senn selbst auf. Die Ergebnisse der Dialoge wurden dann live auf der Bühne vorgetragen.
Bei unserem seminarbegleitenden Workshop mit Gunter Lösel, konnten wir selbst erfahren, wie man mit unbelebten, programmierten Entitäten ,spielt‘: wir haben Dialoge mit Chatbots wie character.ai oder OpenAI improvisiert. Dabei habe ich oft selbst das „Uncanny“ erlebt, zum Beispiel wenn der KI-Avatar unvorhergesehene Antworten gab und auf diese Weise den Effekt von Autonomie generierte, ähnlich wie im Theaterstück dSimon.
KI im Theater: unheimliche Autonomie
Die Integration von KI im Theater, insbesondere durch die Schaffung von Doppelgängern, eröffnet nicht nur neuartige Möglichkeiten für die Inszenierung, sondern wirft auch tiefgreifende Fragen zur unheimlichen Autonomie (Friedrich et al.: 2020) auf, die diese unbeseelten Alter Egos mit sich bringen. Sich selbst als Kopie verkörpert zu sehen, liegt nicht in der Natur des Menschen und ist für uns deshalb nur schwer greifbar. Bereits in seinem Aufsatz „Das Unheimliche“ von 1919 benennt Sigmund Freud als Quelle des unheimlichen Gefühls eine unheimliche Doppelpräsenz. Der Doppelgänger sei „ein Vorbote(n) des Todes“, der eigenen Seelenlosigkeit, und deshalb unheimlich. (Freud 1919:5). Wird dieses Unbehagen auch bei dSimon hervorgerufen? Dadurch, dass dSimon mit einem Korpus von privaten Online-Daten des echten Simon Senn, die 15 Jahre Material umfassen, ,gefüttert‘ wurde, scheint er dem Charakter des Künstlers sehr nah. Die Kopie bezeichnet sich selbstbewusst auch als „menschlicher als echte Menschen“ (vgl. Beauvallet 2021). Dieses Zitat erinnert an den Film Blade Runner (1982) von Ridley Scott, in dem die Avatar-Hersteller ihre Roboter als „more human than human“ bewerben. Diese Quasi-Doppelgänger-Figuren lassen den Zuschauer ein Unwohlsein verspüren. Bei dSimon wird dieses Motiv aber ganz bewusst eingesetzt, um eine Spannung zwischen ,menschlich‘ und ,künstlich‘ zu erzeugen. Ist es Maschinen wirklich möglich uns genau zu kopieren, auch wenn in erster Linie bei dSimon die Programmiererin Tammara Leites den Avatar erschuf und zum Leben erweckte?
Das Stück ist nicht nur zukunftsweisend, sondern hinterfragt auch die existentielle Angst vor dem Ersetztwerden durch Maschinen. Die Angst vor Autonomieverlust. dSimon ist nicht das einzige Stück in der europäischen Theaterlandschaft, das mit KI arbeitet. Zum Beispiel wird in Stephan Kaegi’s Uncanny Valley (2018) ein Ebenbild des Schriftstellers Thomas Melle durch eine androides Roboterdouble erzeugt. Der Effekt des Unheimlichen besteht darin, dass man unbelebten Doppelgänger zwar als solchen erkennt, sich im Laufe der Inszenierung aber eine Art ,angepasste Wahrnehmung‘ einstellt, die die Inkongruenzen ausblendet. So gelingt die Simulation. Man kann nicht mehr differenzieren zwischen ,Echtem‘ und ,Unechten‘. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion überlappen sich dann im Theater und „das Unheimliche beschreibt eine Zone der Ununterscheidbarkeit von Fakt und Fiktion, Wirklichkeit und Künstlichkeit.“ (Howe 2010:59).
Im Falle von dSimon ist die Unheimlichkeit an Autonomiebestrebungen der KI geknüpft. Im Laufe des Stücks nimmt der Avatar immer mehr einen ,eigenen Charakter‘ an und produziert rassistische, beleidigende oder pornografische Texte. Auch hier sieht man unheimliche Tendenzen der Maschinen, eine dunkle Seite, wie Gunter Lösel in seinem Werk Die dunkle Seite des Spiels (2024) hervorhebt. Er stellt die Frage, wieso den Menschen auch die dunkle Seite vom Drama fasziniert. Freud definiert das Unheimliche als „alles, was ein Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten ist.“ (Freud 1919: 1). Auch das KIDouble scheint im Falle von dSimon bislang Un-gewusstes aus den vorliegenden Informationen zu Simon Senn zu generieren. Hier liegen auch weitreichende Gefahren für das öffentliche Leben. Angenommen solche KI-Doubles stellen Politiker oder hochrangige Personen nach und lassen diese unangebrachte Dinge sagen, die man jedoch nicht als fiktiv, bzw. fake einordnen kann? Bereits die Europäische Union sowie der deutsche Bundespräsident warnten vor Künstlicher Intelligenz bezüglich der Verbreitung von Fehlinformationen (Lob: 2023). Warum sollte man eine derart ,gefährliche KI‘ dann im Theater einsetzen? Das Theater bietet einen geschützten Raum, um über die Gefahren von KI zu reflektieren.
Zukunftsprognosen: KI als Gegner von Kreativität und Kunst?
Warum und wie KI auf der Bühne einen unheimlichen Effekt auf den Zuschauer haben kann, wurde skizziert, aber wie steht es um die Ethik in der Kulturbranche? Inwieweit wollen wir Technik unsere Kunst mitgestalten lassen? Viele Drehbuchautoren wie Michelle Amor sowie Übersetzer und Synchronsprecher wehren sich gegen KI und sehen ihre Arbeit in Gefahr. Ihnen droht der Jobverlust, wenn KI mehr und mehr Aufgaben in ihrem Arbeitsbereich übernehmen kann. Und sie sind nicht die Einzigen die diese Sorgen tragen. Aber wird KI auch den menschlichen Schauspieler ersetzen können, wie bei dSimon spielerisch erprobt wird? Zumindest kann meines Erachtens KI als Stilmittel im Theater eingesetzt werden, um über die Wirkung und Funktion von KI zu reflektieren.
In unserem Theaterworkshop konnten wir direkt erleben wie es ist, mit künstlicher Intelligenz zu interagieren. Anhand verschiedener selbstgewählter Prompts erstellte man eigene KI-Avatare, mit denen man dann in den Dialog trat. Bei der Stimme konnte man zum Beispiel auch das Geschlecht, die Klangfarbe oder den Akzent einstellen. Oft waren die Charaktere sehr eindimensional und wiederholten immer wieder das Gleiche. Manchmal schien es aber so, als entwickelten sie einen eigenen Charakter und zeigten Züge, die wir so nicht ,programmiert‘ hatten. Um unseren Kindheitsängsten zu begegnen, sollten wir ein Monster unter dem Bett erstellen, was nach unseren persönlichen Erinnerungen gemacht war. Es war so ,geprompted‘, dass es einem Angst machen sollte. Und das passierte immer dann, wenn die KI eine gewisse Autonomie zu entwickeln schien.
Doch sollte uns dieser vermeintliche Autonomie Grund zur Sorge geben? Ich finde es ist schwierig, Fortschritt immer mit Untergang gleichzusetzen. dSimon gelingt es, den Einsatz von KI im Theater als produktives Moment der Mensch-Maschine-Begegnung zu inszenieren. Im Vordergrund steht das kritische Reflektieren darüber, was KI mit uns macht, aber auch was wir mit KI machen. Es handelt sich um ein wechselseitiges Verhältnis, in dem menschliche und nicht-menschliche Akteure gemeinsam eine Interaktion gestalten. Ich sehe es wie der Dramatiker und Theaterwissenschaftler Éric Vautrin, der die zukünftige Zusammenarbeit von Mensch und Maschine auf Bühne als unvermeidlich erkennt: „The apparatus is here, indisputable. It would be pointless to deny it. But it is possible to make use of it, not to discover its striking novelty but what it does to us.“ (Vautrin 2023:10)
Literaturverzeichnis:
- Beauvallet, Ève: „ ,dSimon’ au théâtre, l’intelligence artificielle a portée d’humains“ , in : Libération, 22.11.2021, S.25–26.
- Friedrich, Alexander ; Gehring, Petra ; Hubig, Christoph ; Kaminski, Andreas & Nordmann: „Autonomie Und Unheimlichkeit: Jahrbuch Technikphilosophie 2020.“
- Howe, Jan Niklas: „Wiedererkennen und Angst: Das Unheimliche als ästhetische Emotion“, in: Phantasmata: Techniken des Unheimlichen, hg. v. Martin Doll, Rupert Gaderer, Fabio Camilletti und Jan Niklas Howe, Cultural Inquiry, 3 (Wien: Turia + Kant, 2010), S. 47–61.
- Lobe, Adrian: „Haben menschliche Synchronsprecher noch eine Zukunft? Synchron- und Hörbuchsprecher sind die heimlichen Stars der Kulturbranche. Durch KI-generierte
- Stimmenklone könnten sie bald verstummen“, URL: https://www.derstandard.de/story/3000000239207/haben-menschlichesynchronsprechernoch- eine-zukunft. Zuletzt aufgerufen am 28.03.2025.
- Lob, Stephanie: „Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt vor den Gefahren Künstlicher Intelligenz.“, URL: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/frank-waltersteinmeier-warnung-kuenstliche-intelligenz-100.html Zuletzt aufgerufen am 28.03.2025.
- Vautrin, Éric: „Poetic use of AI: what the machine knows about us, or Simon Senn as an ethnologist-poet of the virtual world” URL: https://vidy.ch/wp-content/uploads/2022/11/dprodSimon-senntammara-leites-dSimon-en-210901.pdf. Zuletzt aufgerufen am 28.03.2025.