Marionetten des Todes: das Unheimliche bei Mæterlinck und Freud
von Ines Paun
Der belgische Dramatiker und wichtiger Vertreter des Symbolismus Maurice Mæterlinck besucht im Jahr 1887 eine Ausstellung in Ghent, wo er die Wachsfigur einer schlafenden Frau sieht, deren Brust sich durch einen Mechanismus leicht hebt – so, als würde sie atmen. Dieses „Als-Ob“, also die Nachahmung von Lebendigem, aber ohne Leben, wird das Theater Maeterlincks prägen. Nach diesem Besuch entwickelt er die Idee von „êtres privés de vie“, von „Wesen ohne Leben“ (Laoureux 2008: 210 zitiert nach Guidicelli/Plassard 2022:19). Die Marionetten, von denen Mæterlinck träumt, sollen lebensgroße Imitationen menschlicher Schauspieler sein, geschaffen, um die Atmosphäre im Theater mit einer Art Schrecken zu durchdringen (vgl. Guidicelli/Plassard 2022: 19). Doch Mæterlinck hat nicht ausdrücklich gefordert, seine Stücke von und mit Marionetten aufführen zu lassen. Kwon erläutert, dass mit Mæterlincks „Drames pour marionettes“ nicht zwingend echte Marionetten gemeint sind. Vielmehr habe Maeterlinck ,echte‘ menschliche Schauspieler gemeint, die sich wie Marionetten bewegen und verhalten (vgl. Kwon 2011-2012: 129) und so einen unheimlichen Effekt erzeugen. Mæterlinck selbst spricht von einem „comédien masqué“, einer „figure de cire“ oder „sculptée“, einem „ombre, un reflet ou une projection de formes symboliques“ (Kwon 2011-2012: 132). Es geht ihm also darum, den Schauspieler in seiner Marionettenhaftigkeit zu zeigen und damit die Sterblichkeit des Menschen, die conditio humana, die durch die Marionetten symbolisiert werden soll, auf die Bühne zu bringen. Die Idee, den Menschen im Theater durch etwas Unbeseeltes zu ersetzen, ist keine Erfindung unserer Zeit, wie es vermehrt gegenwärtigeTheaterproduktionen suggerieren, die mit Robotern, Maschinen oder KI experimentieren. Diese Theater des Nicht-Menschlichen zielen auf das Unheimliche ab und damit auf eine Ästhetik, die tief im Tal des Uncanny liegt.
Dass eine „close-to-realistic“-Ästhetik von Maschinen und nicht belebten Wesen einen unheimlichen Effekt beim Betrachter auslösen kann, untersucht bereits in den 70iger Jahren der japanische Robotiker Masahiro Mori in seinen Aufsatz „Uncanny Valley“. Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) überträgt dieses Konzept 2019 ins Theater, in dem gleichnamigen Stück Uncanny Valley/Unheimliches Tal: ein Roboterdouble des Schriftstellers Thomas Melle monologisiert über Fragen des Selbst. Während Mori beschreibt, wie menschenähnliche Maschinen beim Betrachter Unheimlichkeit auslösen, geht Maurice Mæterlinck den umgekehrten Weg: Er macht nicht die Maschine menschlich, sondern den Menschen maschinenhaft. In seinem kurzen Essay „Théâtre pour androïdes“ aus dem Jahr 1890, der später unter dem Titel „Menu propos sur le théâtre“ publiziert wurde, fordert Mæterlinck, den Schauspieler durch Puppen oder mechanische Figuren zu ersetzen. Für ihn geht mit dem menschlichen Schauspieler die künstlerische Wirkung verloren, weil der Mensch zu sehr mit seinem Ego verhaftet sei, um metaphysische, abstrakte Konzepte wie den Tod, das Schweigen oder die Seele darzustellen. Dieser Essay geht der Frage nach, wie man eine unheimliche Wirkung im Theater erzeugt und zeigt, wie Mæterlincks Marionettentheater in dieser Hinsicht Freuds Konzept des „Unheimlichen“ antizipiert, indem er, erstens, mit der Idee von unbeseelten Figuren operiert und, zweitens, die unheimliche Präsenz des Todes auf der Bühne bringt. Insbesondere sein Drama L’Intérieur (1894) illustriert Freuds Verständnis von Unheimlichkeit als ein Phänomen, das an das Eigene, an das Heim, gebunden ist.
Phänomene des Unheimlichen
In seinem Aufsatz Das Unheimliche (1919) verweist Freud auf den Artikel „Zur Psychologie des Unheimlichen“ (1906) des Psychiaters Ernst Jentsch, der die Gefühlsregung des Unheimlichen an künstliche, unbelebte, aber menschenähnliche Figuren bindet: „Bekannt ist der unangenehme Eindruck, der bei manchen Menschen durch den Besuch von Wachsfigurencabinetten [sic], Panopticis und Panoramen leicht entsteht. Es ist namentlich im Halbdunkel oft schwer lebensgroße Wachs- oder ähnliche Figuren von einer Person zu unterscheiden.“ (Jentsch 1906, 198). Auch Mæterlinck greift dieses Motiv auf, jedoch nicht als Störung, sondern als ästhetisches Mittel, um das Unheimliche gezielt auf die Bühne zu bringen. Freud versucht genau dieses Gefühl psychoanalytisch zu ergründen. Er bezieht sich dabei auch auf den Eindruck von Wachsfiguren, kunstvollen Puppen und Automaten. Er sieht eine der Bedingungen für das Unheimliche in der Wahrnehmungsunsicherheit, „ob etwas belebt oder leblos sei, und wenn das Leblose die Ähnlichkeit mit dem Lebenden zu weit treibt“ (Freud 1925: 4). Diese Idee entwickelt für die Robotik Masahiro Mori im Jahr 1970 unter dem Begriff des „Uncanny Valley“. In seinem Kurvendiagramm zeigt er, dass unser Gefühl der Mensch-Maschine-Vertrautheit in ein sogenanntes „Tal des Unheimlichen“ fällt, sobald ein menschenähnliches Objekt als nicht-menschlich, bzw. nicht-belebt identifiziert wird, etwa beim Berühren einer täuschend echten Handprothese. Dieser Überraschungseffekt wird als „Uncanny Valley“ bezeichnet. Jentsch formulierte dies als: „Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen Wesens und umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand nicht etwa beseelt sei“ (Jentsch 1906: 197).
Wie kann das Unheimliche im Theater dargestellt werden? Jentsch schreibt: „Einer der sichersten Kunstgriffe, leicht unheimliche Wirkungen durch Erzählungen hervorzurufen beruht nun darauf, dass man den Leser im Ungewissen darüber lässt, ob er in einer bestimmten Figur eine Person oder etwa einen Automaten vor sich habe“ (Jentsch 1906: 203). Maurice Mæterlinck kombiniert in seinen Marionettendramen Theater und leblose Gegenstände auf besondere Weise. Schon vor Freud erkennt Mæterlinck die Unheimlichkeit lebloser Figuren. Ohne diese sei ein metaphysisches Theater nicht möglich, denn Kunst spreche nie „face à face“, sondern immer aus der Tiefe, hinter einer Maske. So fordert Mæterlinck die Abschaffung alles Beseelten von der Bühne:
Il faudrait peut-être écarter entièrement l’être vivant de la scène. L’homme vivant est trop vivant, trop visible, trop bruyant, trop volontaire, trop prévoyant, trop intelligent, trop éloquent, trop lumineux, trop tout. (...) Il n’est que de le remplacer, dans la mesure du possible, par une ombre, un reflet, ou une projection de formes symboliques. (Mæterlinck 1997: 668).
Diese leblosen Wesen seien in der Lage, so Maeterlinck, unglaubliche Kräfte zu entfalten, da sie ein überindividuelles Schicksal besitzen. Die Begriffe ombre (Schatten), reflet (Spiegelbild), projection (Projektion) deuten auf ein bewusst symbolisches Spiel, das die Unheimlichkeit erfahrbar macht. Maeterlinck beschreibt hier abstrakte Erscheinungen. Daraus entwickelt sich die spätere Idee der Marionette: eine Figur, die zwischen Leben und Tod schwebt. Anders als Freud, der das Unheimliche als eine Rückkehr des Verdrängten versteht, inszeniert Mæterlinck es bewusst. Seine Bühne wird zum Ort, an dem der Mensch sich selbst als leere Hülle erkennt, als seelenloses Wesen, das nur noch eine „inquiétude“ ausstrahlt: eine tiefe, unbestimmbare Unruhe. Dass der Unheimlichkeitsbegriff im Französischen als „inquiétante étrangeté“ [„beunruhigende Fremdheit“] übersetzt wird, ist bedeutsam, auch wenn das Eigene (Heim) hier durch das Fremde ersetzt wird, denn es zeigt, wie sehr das Unheimliche als Gefühl des Unbehagens im Angesicht von leblosen Entitäten im Theater Mæterlincks angelegt ist.
Bühne als Ort des Todes
Vor allem liest Freud das „Unheimliche“ aber von seiner Wortherkunft her. Das Wort „unheimlich“ stammt vom Wort „Heim“ und verweist auf das, was vertraut und geborgen ist (vgl. Freud 1925: 1). Wir sehen das Heim, als dasjenige, was wir gut kennen und wo wir uns am sichersten fühlen – unser Zuhause. Ein Gefühl der Unheimlichkeit entsteht, wenn in unserem sicheren Heim etwas Eigenes, das verdrängt und somit fremd geworden ist, plötzlich wieder auftaucht. Laut Schelling ist das Unheimliche „alles, was ein Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten ist“ (Schelling, zitiert nach Freud 1925: 1). Wird es plötzlich sichtbar, entsteht ein Gefühl des Unheimlichen: das Vertraute, das uns unvertraut geworden ist. In Mæterlincks Drama L’Intérieur (1894) – das im Deutschen mit Daheim übersetzt wird, also das Heim/Zuhause/Daheim zum Thema hat – wird eine Familie in ihrem Haus von einem Fremden und einem alten Mann beobachtet. Beide diskutieren, wie sie der Familie die Nachricht über den Tod der Tochter mitteilen sollen, ohne dass diese tragische Nachricht jemals benannt wird. Schließlich klopft der alte Mann an die Tür und tritt ein. Die Mitteilung des Todes wird jedoch nicht ausgesprochen.Die Definition des Unheimlichen, als das, was in unserem „Heim“ geschieht, wird hier szenisch umgesetzt: Die Familie verbringt den Abend daheim, im Licht der Wohnzimmerlampe, sicher im Inneren des Hauses, während im Außen, in der Dunkelheit, zwei Männer stehen, die Familie im Innern beobachten und über sie sprechen. Und jetzt kommt der Tod, bzw. die Nachricht über den Tod ins Spiel. Der Alte und der Fremde symbolisieren ihn: Sie stehen in der Dunkelheit, wissend, schweigend – wie der Tod, der gegenwärtig ist, aber nie greifbar. Besonders der Fremde verkörpert das Unbekannte, genau das, was Freud als Quelle des Unheimlichen bezeichnet. Wir alle wissen, dass es den Tod gibt – doch was es wirklich ist, bleibt ein Rätsel. Bis er, wie bei der Familie, plötzlich an die Tür klopft. Bemerkenswert ist, dass sich die Familie während der gesamten Handlung kaum bewegt. Der Vater sowie die Mutter schauen ins Leere, der kleine Sohn schläft. Ab und zu gehen die Mädchen zum Fenster und blicken hinaus – doch sie sehen nichts:
L'ÉTRANGER: […] Elle revient s'asseoir à côté de la mère... les autres ne bougent pas et l'enfant dort toujours... (Maeterlinck 1999: 8)
Während die Familie in ihrem Haus verweilt und sich kaum bewegt, spielt sich draußen ein düsteres Spiel ab: Das verstorbene Mädchen wird von einer Menschenmenge durch kleine Wege getragen. Doch als die Nachricht vom Tod das Haus erreicht, manifestiert sich das Unheimliche schließlich im Inneren des Vertrauten. Maeterlinck inszeniert diese Idee besonders eindrucksvoll, indem er zeigt, dass die unheimliche Wirkung nicht allein von äußeren Ereignissen herrührt, sondern daher, dass das Verdrängte ins Heim zurückkehrt. Das Heim verliert seine Funktion als Schutzraum; es wird durch das Wissen um den Tod zum Schauplatz des Unheimlichen. In dem Moment, in dem der alte Mann an der Tür klopft, verstärkt sich die unheimliche Atmosphäre – nicht, weil der Tod sich jetzt bemerkbar macht, sondern weil er in das Heim eindringt und es verändert. Die Familie verlässt schließlich das Haus – das Heim –, doch es ist nicht mehr die äußere Welt, die bedrohlich wirkt, sondern das Heim selbst, das durch die Konfrontation mit dem Tod seine Geborgenheit verloren hat.
Maeterlinck versteckt in seinem Drama zahlreiche Symbole, deren Wirkung durch beseelte Schauspieler verloren gehen würde. Denn wie soll eine Seele den Tod spielen? Damit der Tod unheimlich wirkt, müssen die Handlungen selbst unheimlich sein – also menschenähnlich, aber nicht ganz menschlich. Das langsame Bewegen der Familie, das stille Tragen des Mädchens durch die Menge, das Beobachten in der Dunkelheit: Diese Szenen haben etwas Traumartiges, fast Gespenstisches – sie lösen Angstgefühle in uns aus. Besonders bemerkbar wird diese Wirkung, als sich die Menge nähert: „Un murmure des prières s'est graduellement rapproché. Une partie de la foule envahi le jardin. On entend courir à pas sourds et parler à voix basse.“ (Maeterlinck 1999: 7). Die leisen Schritte, das Flüstern und das langsame Eindringen der Menschen in den Garten der Familie erinnern an einer Szene aus einem modernen Zombiefilm. Doch die gespenstische Wirkung entsteht nicht nur durch das, was sich auf der Bühne abspielt, sondern auch durch die Sprache. Nach Segel konzentriert sich Mæterlinck weniger auf Bewegung als auf reduzierte Sprache und Geräusche. Diese sollen musikalisch klingen und sich so stark wie möglich vom alltäglichen Gebrauch unterscheiden (vgl. Segel, 1995: 50). Die Sprache hat einen Einfluss auf die Atmosphäre, aus diesem Grund bewegen sich die Figuren so wenig. Die Poetizität steckt in der Sprache und nicht in dem Schauspieler selbst. Mæterlinck verstärkt diesen Effekt zusätzlich durch Licht- und Schatteneffekte, Echos und Wiederholungen. So spielt er mit der Fantasie des Zuschauers, lässt ihn das Unausgesprochene spüren (vgl. Guidicelli/Plassard 2022: 21). Marionetten oder unbelebte Körper eignen sich hierfür besser als lebendige Schauspieler, da sie nicht von innerer Lebendigkeit gelenkt werden. Ihr Schweigen wird zur perfekten Bühne für den Auftritt des Todes. Die Schwere der Todesatmosphäre ist in L‘Intérieur von Anfang an spürbar, in fast jedem Detail: in den Geräuschen, den Lichtwechseln und den wenigen Bewegungen auf der Bühne. Guidicelli und Plassard (2022) schreiben dazu: „The infinite, dark, hypocritically active presence of death fills all the interstices of the poem.” (Guidicelli/Plassard 2022: 22).
Die Familie versucht, den Tod fernzuhalten: Alle Türen sind verschlossen, die Fenster mit Eisen verriegelt, die Wände verstärkt. Doch gerade diese Trennung schafft die perfekte Atmosphäre für das Unvermeidliche, den Einbruch des Todes: „When it is time for Death to come, no one and nothing can bar its way, and the efforts of the family inside the house to do so are futile.“ (Segel 1995: 53) Erst mit der Präsenz des Todes, das Tor zum mysteriösen Jenseits, wird uns unsere spirituelle Natur bewusst. Doch der Tod ist nicht das einzige Konzept, das er thematisiert. Die Mädchen Marie und Marthe, die Enkelinnen des alten Mannes, stehen symbolisch für die Religion. Ihre Namen sind biblisch und sie symbolisieren Lebendigkeit:
LE VIEILLARD: Marthe, Marthe, il y a trop de vie dans ton âme, tu ne peux pas comprendre… (Maeterlinck 1999: 6) [Eigene Übersetzung: Marthe, Marthe, du hast zu viel Leben in deiner Seele, du kannst es nicht verstehen…]
Sie stehen aber nicht nur für das Leben: ihre Namen beginnen auch mit „M“, wie das französische Wort „mort“ [Tod]. Damit deutet Maeterlinck an: Im Tod liegt Leben, so wie in Marionetten gleichzeitig Tod und Bewegung koexistieren: „La vie et la mort se confondent, estime Maeterlinck, les vivants et les morts ne sont que des moments à peine différents d'une existence unique et infinie et ne forment qu'une même famille immortelle.“ (Les Débris de la guerre 194, zitiert nach Kwon 2011-2012: 146) Der Alte und der Fremde werden ebenfalls als menschlich dargestellt, obwohl sie etwas Metaphysisches repräsentieren. Sie sind wie die Familie – etwas Immaterielles, das zugleich materiell wirkt, wie die Puppen auf der Bühne gehören Leben und Tod zusammen – und gerade das macht den Tod so unheimlich. Ohne Leben, gibt es keinen Tod, und ohne Tod kein Bewusstsein vom Leben.
Als der alte Mann die Nachricht überbringt, verlässt die Familie das Haus. Alle außer dem kleinen Sohn, der von Anfang bis Ende schläft und träumt. Dieses Bild lässt sich als Symbol für die Verdrängung des Todes lesen: Das Kind verkörpert das Leben, das ungestört weitergeht, auch wenn der Tod bereits geschehen ist. Wie Freud schreibt, ist das Unheimliche etwas, das vertraut war, verdrängt wurde – und plötzlich wiederkehrt. Der Tod des Mädchens ist bereits geschehen, doch erst mit dem Wissen darüber beginnt das Unheimliche für die Familie.
Theater der Schwelle
Maeterlincks Theater zeigt, dass eine unheimliche Wirkung nicht hauptsächlich durch Handlung entsteht, sondern durch eine Kombination aus Sprache, Symbolik, leblosen Figuren und dem Spiel mit Dunkelheit. Das Unheimliche entsteht, indem vertraute Räume wie das Heim in Orte des Ungewissen verwandelt werden – wo das Verdrängte, das Un-Gewusste oder Noch-Nicht-Gewusste plötzlich wiederkehrt. Mæterlinck verzichtet bewusst auf traditionelle Schauspieler und ersetzt sie durch eine Marionettenhaftigkeit, die die conditio humana als Hülle sichtbar macht. Somit antizipiert er Freuds Verständnis des Unheimlichen als etwas, das sogleich vertraut und fremd geworden ist. Die Frage, wie man eine unheimliche Wirkung im Theater erzeugt, lässt sich also beantworten: durch das Spiel mit Ambivalenzen – zwischen Leben und Tod, Sichtbarem und Unsichtbarem, Mensch und Mechanik. Er schafft eine Bühne der Liminalität, der Schwelle, auf der unausgesprochene Dinge spürbar werden, nicht durch Handlung, sondern durch Atmosphäre.
Literatur:
- Freud, Sigmund: „Das Unheimliche“, in: Studienausgabe. Psychologische Schriften. Band 4. Frankfurt/M.: Fischer 19707 1925, S. 241-274.
- Jentsch, Ernst: „Zur Psychologie des Unheimlichen“, in: Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift. Band 22. Hallesaale: Marhold Verlag 1906, S. 195-199.
- Jentsch, Ernst: „Zur Psychologie des Unheimlichen“, in: Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift. Band 23. Hallesaale: Marhold Verlag 1906, S. 203-205.
- Kwon, Hyun-Jung: „Maeterlinck et le théâtre pour marionettes: Alladine et Palomides, Intérieur, La mort de Tintagiles” in: Nineteenth-Century French Studies 40 (2011-2012), S. 127 – 150.
- Maeterlinck, Maurice: L’Intérieur (1894). Oevres II. Théâtre. Band 1. Bruxelles: Édition complexe, 1999, S. 501-520.
- Maeterlinck, Maurice: “Menu propos: le théâtre (1890)”, in: Aron, Paul (Hg.): La Belgique artistique et littéraire. Édition complexe 1997, S. 663-669.
- Plassard, Didier/Guidicelli, Carole: „Haunted Figures, Haunting Figures: Puppets and Marionettes as Testimonies of Liminal States”, in: Skenè. Journal of Theatre and Drama Studies. Puppet, Death, and the Devil: Presences of Afterlife in Puppet Theatre 8 (2022) S. 11-33.
- Segel, Harold B.: Pinocchio's Progeny: Puppets, Marionettes, Automatons and Robots in Modernist and Avant-garde Drama. Band 1. Baltimore: John Hopkins University Press 1995, S. 49-54.