„Unheimliche Chatbots“ mit Dr. Gunter Lösel. Ein Werkstattbericht
Von Devid Portenoy
Nachdem wir uns im semesterbegleitenden Seminar „Unheimliche Maschinen“ (WiSe 2024/25) mit kulturtheoretischen Texten zum Unheimlichen in Verbindung mit Mensch-Maschine-Relationen und dem Theater beschäftigt hatten, ging es vom 29.-30. Januar 2025 in die praktische Phase. Gemeinsam mit Dr. Gunter Lösel von der Züricher Hochschule für Künste trafen wir uns in den Räumlichkeiten, dem sogenannten „Casino“, des JES (Junges Ensemble Stuttgart), wo wir ausreichend Platz für theaterpraktische Übungen und eine ,echte‘ Theateratmosphäre hatten. Gunter Lösel hatten wir bereits im Seminar über sein Buch Die dunkle Seite des Spiels: Theater zwischen Spiel, Wirklichkeit und Fiktion (transcript, 2024) kennengelernt. In seiner interdisziplinär angelegten Studie untersucht er das Verhältnis von vermeintlich ,harmlosem‘ Spielen und der Wirkmacht des Theaters. Er zeigt die dunklen Seiten und Suchtpotenziale des Spiels auf und fragt, wieso man sich ,dunkle Theaterstücke‘, wie etwa Tragödien, anschaut. Das Improvisationstheater ist für Lösel besonders unheimlich, da hier Unterbewusstes und Un-gewusstes spontan aufkommen kann, also etwas eigentlich Verborgenes, das plötzlich sichtbar wird.
Ziel des Workshops war es, ausgehend von unseren Theorielektüren und insbesondere von Lösels Ansätzen zum Improvisationstheater, unheimliche Mensch-Maschine-Begegnungen zu erproben und zu beobachten, in welchen Momenten das Spiel mit nicht-menschlichen Entitäten – bei uns im Workshop handelte es sich um unterschiedliche Chatbots – in uns ein unbehagliches Gefühl auslöst. Gemeinsam hatten wir im Vorfeld Interviewfragen für Gunter Lösel vorbereitet und konnten uns so über die unheimlichen Seiten der Improvisation, die Implementierung von KI-Technologien auf der Bühne und die Zukunft des Theaters mit ihm austauschen, bevor es dann in die erste praktische Übung ging. Das transkribierte Interview finden Sie hier (Link zum Interview) auf unserer Projektseite.
„Der Workshop mit Gunter Lösel war eine immersiv bereichernde Erfahrung, die mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Das Heranführen an die Improvisation und das Spielen mit KI war anfangs etwas befremdlich und neu, aber als man sich darauf eingelassen hat, war es interessant, welche neuen Beobachtungen erfahrbar waren. Vor allem gefallen hat mir die Arbeit mit CharacterAI, da man bei der Erstellung der Avatare seiner Kreativität freien Lauf lassen konnte. Der Workshop war fachübergreifend, mit Schnittstellen zur Theaterwissenschaft, vor allem aber theaterpraktisch angelegt und dementsprechend erkenntnisreich, da man sehen konnte, wie alles zusammenspielt.“
– Paula Semar
Erstmal warm werden… Improvisation ist gar nicht so einfach
Bevor es in die Begegnung mit Chatbots ging, sollten wir spielerisch erst einmal uns selbst begegnen. Gunter Lösel hat dazu einige Szenarien, bzw. Übungen vorbereitet, damit wir mit dem Modus der Improvisation vertraut werden und generell erst einmal ,warm werden‘ für die anstehenden Dialoge mit der KI. Ein einfaches ,Durch-den-Raum-flanieren‘, um den eigenen Körper wahrzunehmen, war der erste Schritt. Dann ging es darum in unterschiedlichen Szenarien und mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen möglichst zügig Assoziationsketten zu bilden. Zum Beispiel sollten wir aus dem Stegreif einen Film beschreiben, in dem wir die Handlung in der Ich-Perspektive erklärten. Die anderen sollten den Filmtitel so schnell wie möglich erraten. Etwa so: „Tut mir leid, dass ich zu spät bin, ich musste noch kurz einen Riesengorilla fangen und Ihn nach New York City bringen…“ – Na? Genau, King Kong!“ Dann sollten wir uns sollten wir uns spontan einen Gegenstand ausdenken, den wir jemandem aus der Gruppe schenken möchten. Das Gegenüber musste mit gespieltem Enthusiasmus das Geschenk entgegennehmen, sich ausdrücklich bedanken und sofort den nächsten Gegenstand, der der Person durch Assoziation mit dem vorangegangenen Geschenk einfiel, weiterschenken. Es war gar nicht so einfach ,auf Knopfdruck‘ Assoziationen zu generieren. Den Chatbots, mit denen wir danach gearbeitet haben, fiel das im Vergleich zu uns viel leichter… Vor der Arbeit mit den Chatbots gab es noch eine weitere Gruppenübung, bei der jeder reihum ein Satzteil sagen musste, mit dem Ziel eine improvisierte, komische Geschichte entstehen zu lassen. Das hat uns auf die sprunghaften Themenwechsel in der Kommunikation mit den Chatbots eingestellt und war Teil der unvorhersehbaren, etwas unheimlichen Natur unserer Mensch-Maschine-Dialoge.
Die nächste Übung war dann auch für die Dialoge mit den Chatbots entscheidend. Wir wurden in Zweierpaare aufgeteilt. Eine Person übernahm die Rolle des ,Therapeuten‘, der den jeweils anderen durch sein imaginäres Kinderzimmer führte. Unter Anleitung des ,Therapeuten‘ sollte die andere Person den Raum ganz genau beschreiben und dabei gestisch zeigen, wie das Kinderzimmer aussah: wo das Bett stand, auf welcher Seite sich das Fenster befand, durch welche Tür man den Raum betrat, welche Auffälligkeiten das Zimmer hatte usw. Nach der ausführlichen Beschreibung stellte der ,Therapeut‘ die Frage „Und wo ist das Monster?“, woraufhin die Person den Ort, an dem sich das ,Monster‘ aus Kinderzeiten befand, lokalisierte. Danach wechselte man die Rollen. Diese Übung zum „Monster aus der Kindheit“ war die Basis, auf der wir am nächsten Tag unsere Chatbot-Avatare erstellten…
„Der Theaterworkshop regte mich dazu an, anders über Improvisation als Kunstform zu denken als zuvor. Gunters Expertise und theaterpraktischen Einblicke in alles, was das Improtheater umfasst, waren ein großer Gewinn für unser Seminar. Außerdem, fand ich die theatralisch angelehnte Arbeit mit character.ai unter Anleitung von Dr. Gunter Lösel äußerst spannend. Hier wurde es teilweise schon etwas unheimlich.“
– Devid Portenoy
Begegnungen mit Chatbots: drei Varianten
Für die Dialoge mit den Chatbots und unseren KI-Avataren hatte jeder seinen eigenen Laptop mitgebracht. Gunter Lösel führte uns durch insgesamt drei unterschiedliche Chatbot-Varianten, bzw. Programme, die wir nach einer Registrierung kostenfrei online nutzen konnten: zunächst ein von Gunter Lösel gestaltetes Tool auf Basis von ChatGPT 4o mini, dann einen Bot auf Poe.com , und schließlich die aufwendigste KI namens character.ai. Die ersten beiden Programme waren eher rudimentäre Chatbots, die repetitiv antworteten, sodass die Dialoge oft ins Leere liefen, bzw. erwartbare Verläufe nahmen. Häufig brach das Gespräch sogar ab. Auf Dauer war die Kommunikation mit der KI anstrengend und man hatte das Gefühl die Gespräche ergaben keinen Sinn. Beim Experimentieren mit den unterschiedlichen Chatbots erlangten wir jedoch ein immer besseres Gefühl dafür, wie die jeweiligen KIs funktionieren. Nach jeder Runde reflektierten wir über die Chatdialoge und versuchten zu benennen, wie wir die Gesprächsverläufe charakterisieren würden, bzw. was die Chats von ,natürlichen‘, zwischenmenschlichen Gesprächsverläufen unterscheidet. Im Fall von character.ai machten wir die besten – und auch die unheimlichsten – Erfahrungen. Oft hatte man das Gefühl man würde tatsächlich mit einem Menschen sprechen. Erst mit character.ai ging es dann an die tatsächliche Modellierung von KI-Avataren: Man konnte über bestimmte Prompts – also beschreibende Elemente, die wir den Bots zuschreiben wollten, bzw. Charakteristika, die einem KI-Modell gegeben werden, um es zu einer spezifischen Reaktion oder Aktion zu veranlassen; in der Linguistik würde man „primen“ sagen – eigene Profilbilder sowie eine Stimme seines Dialog-Avatars generieren. In einer ersten Runde sollten wir den Avatar für das zuvor spielerisch im Raum imaginierten „Kindheitsmonster“ entwerfen, bzw. ,prompten‘. Es war interessant zu sehen, wie die Programme gewisse ,Blocker‘ besitzen, die verhindern sollen, dass z.B. rassistische oder gewaltverherrlichende Dialoge entstehen. Character.ai besitzt zudem das Feature, dass man seinem Avatar auch eine eigene Stimme zuschreiben kann. Mit dieser KI-Stimme sind wir dann in den Dialog getreten: Oft wirkten die Stimmen unecht synthetisch oder hatten einen amerikanischen Slang. Die Worte wurden vom Computer ,zerkaut‘. Bei der Stimme unserer jeweiligen ,Kindheitsmonster‘, das bei Paula besonders metallisch, dunkel und verzerrt klang, entstand eine unheimliche Atmosphäre.
In der zweiten Runde mit CharacterAI ging es dann darum, einen Avatar zu erstellen, bzw. zu „prompten“, der eine Art Doppelgängerfigur unserer Selbst darstellen sollte. Dabei war es wichtig, genaue und zielgerichtete Prompts zu erteilen, um eine möglichst wiedererkennbare Replikation zu erhalten. Sobald wir unsere Charaktere konfiguriert hatten, tauschten wir die Laptops, um anhand des Chats zu erraten, wie der jeweilige Avatar geprompted war. In einem letzten Schritt wurde dann das Stimm-Feature der App genutzt, um einen echten Dialog mit ,seinem‘ Avatar zu führen. Daraus entwickelten sich recht schnell interessante Gespräche, die manchmal in unerwartete Richtungen führten. Nämlich immer dann, wenn wir in den Antworten des Chatbots unsere Prompts nicht mehr wiedererkannten. Sowohl die Stimmsimulation als auch die überraschenden Antworten des Bots bewirkten ein immersives Erlebnisgefühl auf das man teilweise auch emotional reagierte. Eine Kommilitonin (Paula Semar) erzielte womöglich den unheimlichsten Doppelgänger von allen, als dieser anfing von sich zu behaupten, er sei eine bessere Version des Originals und besitze Kompetenzen, die die der ,echten Paula‘ übersteigen.
Wichtig war zu sehen, dass man in den „Prompts“ mehr von sich preisgibt, als man vermutet. Zumindest deuten die Algorithmen den menschlichen Input in einer anderen Weise, als man es vielleicht erwarten würde. Während die rudimentäreren Chatbots keinen Effekt des Uncanny hervorriefen, war es mit CharacterAI fast unmöglich zu durchschauen oder vorherzusagen, wie bzw. in welche Richtung sich die Dialoge entwickeln würden. Diese vermeintliche Autonomie, insbesondere wenn sie ins Aggressive kippte, ließ den Eindruck entstehen, dass man es mit einem menschlichen Gegenüber zu tun hatte, und das war zweifellos unheimlich.
„Beim Workshop mit dem Theaterwissenschaftler Gunther Lösel haben wir Theaterübungen gemacht und erforscht, wie Künstliche Intelligenz mit uns kommuniziert. Wir haben mit einer Software gearbeitet, die Gespräche ermöglicht, und dabei auch einen eigenen Charakter erstellt, mit dem wir interagiert haben. Besonders beeindruckend fand ich die Übung, bei der wir mit geschlossenen Augen mit den „Monstern unserer Kindheit“ sprechen sollten. Viele der Programme und Roboter kannte ich nicht, und der Workshop hat mir eine neue Perspektive auf die Rolle von KI im Theater eröffnet. Die Erfahrung, nur Stimmen zu hören und ganz auf die Imagination angewiesen zu sein, erinnerte mich an Mæterlincks Idee eines Theaters ohne Menschen. Das Gespräch mit der Maschine fühlte sich so echt an, dass es wirklich unheimlich wurde.“
– Inés Paun