50 Jahre nach dem Mai 68 ist die Formel „68“ zur Chiffre eines breiten Spektrums von Assoziationen in Frankreich wie in Deutschland geworden. Immer noch spaltet die Interpretation der Ereignisse weite Teile der Gesellschaft: „La pensée 68“ steht bei den Kritikern oder Renegaten wie Alain Finkielkraut für Relativismus und Hedonismus, während die Verteidiger auf die liberalisierende Kraft der Revolte verweisen. Eine wissenschaftliche Erörterung des Themas verfährt vor diesem Hintergrund klug, wenn es sich den all zu schnellen Assoziationen und politischen Instrumentalisierungen des Erinnerungsortes „68“ entzieht. Aus der Perspektive der historischen und wissenschaftlichen Distanz geraten nämlich Aspekte in den Fokus, die in der journalistischen Aufarbeitung des Gegenstands verlorengehen: Die sozial-historischen Hintergründe, die performativen und künstlerischen Praxen sowie die internationalen Wechselwirkungen. Alle diese Dimensionen können dann besonders fruchtbar ausgelotet werden, wenn sie in einer deutsch-französisch vergleichenden Perspektive in den Blick genommen werden.