Tagung "Kunst im Restauratorium"

22. Juni 2023

Zeit: 22. – 23. Juni 2023
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Der Begriff ›Restauratorium‹ als Bezeichnung der Adenauer-Ära stammt von Peter Rühmkorf. In ihm verbinden sich Gegensätze: der Gedanke einer Erneuerung mit der Idee des Verfestigten, Machtvoll-Autoritären. »Die Restauration ist mächtig, sie hat sich […] verfestigt«, schreibt Rühmkorf in dem 1959 unter dem Pseudonym Leslie Meier veröffentlichten Essay ›Kunst im Restauratorium‹. Von diesem Widerspruch handelt der Essay, von einem Zeitabschnitt, der einen früheren politischen Zustand wiederherstellen will (›Restauration‹) und der gleichzeitig beansprucht, bereits eine Institution zu sein.

Das Besondere an diesem Text ist seine differenzierte Perspektive. Während andere auf ihre eigene Zeit bloß eindreschen, weil sie veränderungsunwillig ist (das tut Rühmkorf auch), sieht er ihre Schwäche, ihr fehlendes Selbstbewusstsein, ihre Verdrängung. Eine solche Zeit müsse alle möglichen Störungen und alle Kritik von sich fernhalten, um überhaupt nur einen Hauch von Stabilität und Geschlossenheit zu erhalten. Hinter den Beharrungszuständen sowohl im Gesellschaftspolitischen wie im Künstlerischen, hinter dem Zwang, jegliche Veränderung zu verhindern, stehe in Wahrheit Angst. Um die zu verdrängen, würden einzelne ungebärdige Künstler gehätschelt (»Avantgarde-Bluff«); deshalb goutiere man einen kleinen Schock hie und da. Was als ›modern‹ zugelassen werde, sei entweder zum Konsum bestimmt oder letztlich doch ohne Veränderungsanspruch. Dabei brauche die Zeit die Kunst so dringend, sei sie es doch, von der das Land einst sein Selbstwertgefühl bezogen habe. Doch die erstarrte Kultur der 50er ließe nur die alten Formen zu. So entstehe eine Kunst der Artistik – ein Leitbegriff des ›Restauratoriums‹. Für Rühmkorf ist die Artistik, die Kunst an sich, ein Kollaborateur des Systems, weil auch sie sich nicht verändern will. Überhaupt sei sie zu sehr auf sich bezogen und interessiere sich nicht für das Leben.

Was kann der nachdenkliche Zeitgenosse tun? Schließlich seien die Zeiten in Wahrheit alles andere als stabil: »Wie, wenn wieder angeklopft wird, ob man den totalen Krieg wolle, und das lyrische Ich sendet nur Auskunft auf dieser Bandbreite: ›Gelbkranke Kraniche stoßen den Schnabel ins Blau‹?« – Rühmkorfs Essay gibt keine Antworten, aber Anstöße.

Von ihnen will sich unsere interdisziplinäre Tagung leiten lassen; sie will den in Rühmkorfs Essay aufgeworfenen Fragen nachgehen. Welches sind in den 50er Jahren die Spielräume für Kunst und Literatur, welches die politisch-juristischen Leitlinien, welches die Grundüberzeugungen, nach denen sie akzeptiert und gefördert bzw. marginalisiert oder diskreditiert werden? Wie verhalten sich die Werke zu den Zwängen des ›Restauratoriums‹? Wo finden sich Brüche oder Widersprüche im Kulturbetrieb der 50er, wo interessante, aufschlussreiche Einzelfälle für künstlerische Strategien im Umgang mit Kulturbetrieb und Kulturpolitik? Eingeladen werden Vertreter verschiedener geistes- und kulturwissenschaftlicher Fachbereiche: Kultur-, Kunst-, Medien- und Sozialhistoriker, Juristen, Literatur- und Kunstwissenschaftler. Peter Rühmkorf darf in den Tagungsbeiträgen eine Rolle spielen, muss es aber nicht.

Die Tagung findet am Donnerstag, den 22., und Freitag, den 23. Juni 2023 im Internationalen Begegnungszentrum der Universität Stuttgart (Eulenhof) statt. Sie wird von Prof. Dr. Stephan Opitz (Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität Kiel) Prof. Dr. Barbara Potthast (Abteilung für Neuere deutsche Literatur II der Universität Stuttgart) organisiert und von der Arno Schmidt Stiftung unterstützt.

 

Rühmkorfs Essay  Tagungsprogramm 

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